Wintermörder - Roman
»Sie sollten kein Schwarz tragen, wenn Sie die Wahrheit nicht ertragen. Das bekommt Ihrem Teint nicht.«
Myriam biss die Zähne zusammen. Sie musste sich beherrschen. Alles in ihr schrie danach, aufzuspringen, den Raum zu verlassen. Ihr rechter Daumen stach in das Fleisch der Handfläche. Der Schmerz lenkte sie von der Wut ab. Doch sie war nicht nur wütend, sie fühlte sich erniedrigt, dass sie sich auf diesen Dialog mit Jost eingelassen hatte, dass er sie auf diese Weise öffentlich attackieren konnte.
Das hatte sie nicht nötig.
Froh sollten sie sein, die Medien, dass sie überhaupt mit ihnen sprach. Sie sollte klarstellen, dass alle hier von ihrer Gnade abhingen.
Myriam war fast so weit, laut und deutlich zu verkünden, dass sie eine Nachrichtensperre verhängen würde, doch Henri Liebler rechts und Ron Fischer links erhoben sich abrupt.
»Die Pressekonferenz ist beendet«, sagte Liebler. »Wir werden Sie weiter informieren.«
Alles lief aus dem Ruder. Myriam blieb nichts anderes übrig, als hinter Fischer herzulaufen wie eine delinquente Jugendliche, die in Gewahrsam genommen werden musste.
»Verdammt noch mal, es geht hier nicht um Sie, um Ihre Ehre«, brüllte Fischer in seinem Büro. »Es geht um das Leben eines Kindes.«
Liebler legte die Hand auf seine Schulter. »Beruhige dich, Alter.«
»Ich kann mich nicht beruhigen. Ignoranz, das ist das, was dieser Jost braucht. Ignoranz, das ist für ihn dasselbe wie ein Arschtritt. Wir dürfen seine Stichworte nicht aufnehmen und ihnen damit Bedeutung verleihen. In solchen Fällen bricht man ab. Nicht wir, sondern Sie, Frau Staatsanwältin. Das ist Ihr Job. Sie leiten die Pressekonferenz. Wir haben bestimmte Informationen. Punkt. Ende. Da können die sich aufführen, wie sie wollen. Mehr kriegen die nicht. So funktioniert das. Mit der Presse diskutiert man nicht. In keinem Fall …«, er trat an den Stuhl, auf dem Myriam saß, »wenn es um …«, seine Stimme wurde automatisch leiser, »Nationalsozialismus geht. Da schweigt man am besten. Dieses Thema ist tabu. Wissen Sie nicht, wie viele Politiker schon wegen dieses Themas den Löffel abgeben mussten und ab in die Rente?«
»Was reden Sie denn für einen Schwachsinn?« Myriam erhob sich. »Tabu. Nationalsozialismus. Was habe ich denn gesagt?«
»Sie haben gesagt, dass Jost diesem Hans Frank zu Ruhm verhilft, wenn er darüber berichtet.«
»Aber das stimmt doch. Er stellt wüste Theorien auf. Ich sehe schon vor mir, wie um zwanzig Uhr in der
Tagesschau
Archivbilder gezeigt werden, die womöglich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.«
»Dann lassen Sie ihn doch ins Messer laufen. Das ist das Gute bei dem Thema. Das ist ein Minenfeld. Sie machen einen Schritt, und peng, schon fliegen Sie in die Luft. Der Jost, der erledigt sich selbst, wenn er auf dem Thema herumreitet. Das sagt mir meine Erfahrung. Das hat noch keiner überlebt außer diesem ZDF-Historiker. Bei dem es übrigens auch nur funktioniert, weil er einfach Bildmaterial aus dem Archiv zusammenschneidet und mit staatlich autorisierten Texten von Schulbüchern zur deutschen Geschichte unterlegt, von der Kultusministerkonferenz persönlich autorisiert.«
»Hey, hey, komm wieder runter«, sagte Liebler. Er grinste Myriam aufmunternd zu. »Das meint er nicht so.«
»Oh, doch, das meine ich genau so«, brüllte Fischer und rannte aus dem Büro.
»Hat er Recht?«, fragte Myriam.
»Ich befürchte, ja. Aber meine Devise ist immer, aufgeräumt wird später. Lassen wir die Scherben liegen, vielleicht bringen sie Glück. Aber bevor Sie Ihren Rücktritt beschließen, was ich nicht hoffe, fahren wir zu Carl Winkler und unterhalten uns noch einmal mit ihm.«
»Was ist mit Fischer?«
»Den lassen wir nach Hause zu seinen Zwillingen. Da wird er auf den Boden der Realität zurückgeholt und muss sich wieder auf das Wesentliche im Leben konzentrieren.«
»Das Wesentliche«, stellte Myriam fest, »das Wesentliche ist, dass wir Frederik Winkler finden.«
»Mein Gott, jetzt hat sie’s«, sagte Liebler und weiter: »Mögen Sie eigentlich Fußball?«
14
Im Traum sah Denise einen Himmel, der vor Rauchwolken überquoll. Sie spürte die Hitze und hörte das Knistern, als der Stoff Feuer fing. Verzweifelt versuchte sie, sich das Kleid vom Körper zu reißen. Dabei ließ sie Frederiks Hand los. Sie ließ sie einfach los und sah zu spät, dass aus seinem Mund Qualm quoll. Fasziniert stand er da und starrte auf die Flammen, die ihn umzingelten und immer
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