Wintermörder - Roman
roch nach Öl und Tomaten.
»Glühwein«, erklärte er, »gegen die Kälte. Was soll ich Ihnen bestellen?«
»Cola light und eine Pizza Margherita.«
»Ist das nicht nur die Grundausstattung für eine Pizza?«
Er nahm ihr den Mantel ab, hängte ihn über den Stuhl und gab ihre Bestellung weiter.
»Was haben Sie da?« Sie deutete auf den Aktenstapel.
Liebler schlug den Aktendeckel nach oben. »Einige Informationen zu der Firma Winklerbau.«
»Etwas Interessantes dabei?«
»Das Unternehmen existiert seit 1849 und hat den ersten Aufschwung beim Eisenbahnbau erlebt, als es Holzschwellen nach ganz Europa lieferte. Die Aufträge im Bau kamen erst später.«
Nach einem langen Schluck Glühwein fuhr er fort. »In den zwanziger Jahren standen sie kurz vor dem Konkurs, aber ab 1930 ging es wieder steil aufwärts. Und nach dem Krieg kam dann der nächste Schub. Kein Wunder, schließlich lag Frankfurt in Trümmern. Jetzt machen die Konkurrenz aus dem Osten und die Schwäche im Bauwesen dem Unternehmen zu schaffen. Ein Konkurs konnte im letzten Jahr nur durch den Verkauf der Baufirmen abgewendet werden. Die Firma konzentriert sich nun auf Planung und Abwicklung von Bauprojekten im Ausland. Die Bilanz des letzten Jahres schrieb zum ersten Mal wieder schwarze Zah
len.«
»Oliver Winkler hat euch einfach so die Bilanz gegeben?«
»Nein! Carl Winkler. Er hat uns auch erzählt, dass Denise die Geschäftsführung übernehmen sollte. Oliver war bis zu Frederiks Geburt lediglich als Architekt beschäftigt, aber danach hat Denise sich aus dem Unternehmen zurückgezogen.«
»Das war sicher im Sinne ihres Mannes.«
»Sie mögen ihn nicht.«
»Was ist mit Ihnen?«
»Es bringt mich nicht weiter, Sympathie oder Antipathie zu empfinden.«
»Finden Sie, dass ich meine Objektivität verloren habe?«, unterbrach sie ihn.
»Sie sind dabei, sie zu verlieren. Sie engagieren sich zu sehr in diesem Fall …«
Myriam wollte etwas sagen, aber er hob abwehrend die Hände. »Ich weiß, ich weiß, Sie sind die Herrin der Ermittlungen. Aber haben Sie kein Hobby, mit dem Sie sich ablenken können?«
Liebler wischte sich mit einer Serviette über den Mund.
»Schaffen Sie das alles mit Ihren Leuten?«, lenkte Myriam ab.
»Wollen Sie mir wieder mit Unterstützung durch das LKA drohen?«
»Soll mir recht sein, wenn Sie es alleine schaffen.«
»Wenn Sie unbedingt wollen, dann finden Sie jemanden, der die Spurensicherung entlastet. Die sind rund um die Uhr mit der Auswertung der Spuren beschäftigt und total frustriert.«
»Warum?«
»Weil sie nichts damit anfangen können. Der Täter hat überall Spuren hinterlassen, aber nichts davon kann uns zu
ihm führen.«
»Was ist mit dem Handy?«
»Tot.«
»Über die Chopinbilder sagen wir nichts«, erklärte Myriam. »Solange nicht geklärt ist, wie die Winklers in deren Besitz gekommen sind, sollte nichts an die Öffentlichkeit.«
»Wir haben Glück, dass die Presse bis jetzt noch nichts davon mitbekommen hat.«
»Was ist mit der Haushälterin?«
»Ich habe sie angerufen und gesagt: Übrigens, wir suchen nach Privatfotos. Haben Sie eine Vorstellung, wo diese sein könnten?«
»Was hat sie geantwortet?«
»Dass sie unter Schock steht. Dann ist sie passenderweise in Tränen ausgebrochen. Ich habe ihren Hausarzt angerufen. Er hat es bestätigt, was soll ich machen?«
Ihre Pizza war fertig und Lieblers Teller leer. Seine breite Hand griff in die Brusttasche des Hemdes und brachte die Zigarettenschachtel zum Vorschein. Er schüttelte eine Zigarette heraus, ohne auf ihre guten Vorsätze Rücksicht zu nehmen. Myriam konzentrierte sich auf die Pizza, die bereits in Stücke geschnitten war.
Liebler zündete ein Streichholz an und hielt es an die Zigarette. »Wir haben ihn übrigens«, sagte er und nahm den ersten Zug.
Myriam sah ihn verständnislos an, das heiße Pizzastück zwischen den Fingern.
Wen hatten Sie?
Den Entführer?
Sie hatte sich nur einmal umgedreht, und schon hatten sie ihn?
Es war vorbei?
Oder sprach Liebler lediglich von einem Verdacht? Aber hatte er nicht gesagt, dass die Spuren keinen Erfolg brachten? Außer dass sie die Akten aufblähten?
Das heiße Stück rutschte durch ihre Finger und landete auf dem Tisch.»Wen?«
»Den Mann auf dem Foto.«
Tiefe Enttäuschung und große Erleichterung. Die Absurdität von Gefühlen. Natürlich war es nicht vorbei. Das wäre ein Wunder, doch mit Wundern hatte sie es in ihrer Zeit als Staatsanwältin noch nie zu tun
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