Wintermörder - Roman
gehabt.
»Für einen Moment dachte ich, es sei wirklich vorbei, und Sie hätten Frederik gefunden.«
»Meinen Sie, dann säße ich mit Ihnen in einem Schnellimbiss bei diesem Gesöff aus billigem Fusel?«
»Wer hat ihn identifiziert?«
»Ein Historiker, den wir hinzugezogen hatten.«
»Ein Historiker?«
»Das war die Idee von Christian Fuchs, weil das Foto offensichtlich aus den vierziger Jahren stammt. Aber besser, wir sichern es erst noch mal ab, denn wenn das wahr ist, dann müssen wir uns warm anziehen. Dann steuern wir auf einen Skandal hin.«
»Einen Skandal«, betonte Myriam, »kann ich momentan überhaupt nicht brauchen. Also, wer ist der Mann?«
12
Udo Jost ließ sein Handy nicht aus den Augen.
Er hatte die erste Aufgabe gelöst.
Jetzt war der Unbekannte wieder an der Reihe.
Die Frage war nur, ob Singer und Co. zu demselben Ergebnis gekommen waren.
Mit schnellen Schritten ging er vom Parkplatz auf den Eingang des Polizeipräsidiums zu. Wahnsinn, wenn es ihm gelang, die Bombe platzen zu lassen. Doch Ruhe, er musste Ruhe bewahren. Er durfte keinen Fehler in der Dramaturgie machen.
Automatisch wurde er langsamer, um sich schließlich betont gelangweilt am Eingang zu melden. Die Empfangsdame hatte denselben Charme wie das Gebäude des Polizeipräsidiums. Eine weiße Bluse mit messerscharfen Kragenspitzen unter einem dunkelgrauen Kostüm.
»Udo Jost.«
»Ach ja, Herr Jost.« Hörte er da einen Unterton von Respekt heraus? »Wenn Sie mir Ihren Presseausweis zeigen würden. Reine Routine, Sie verstehen.«
Sie warf kaum einen Blick darauf. »Rechts herum, dann ein Stockwerk tiefer in den Keller.«
Das Surren der Schranke ertönte, noch bevor er davor stand.
Macht tat gut. Sie öffnete Türen.
Der Raum war bereits mit Journalisten überfüllt. Sie saßen sogar auf dem Boden. Kaum dass für die Fernsehkameras genügend Platz blieb. Das künstliche Licht erhitzte den Raum. Er spürte, dass ihm der Schweiß aus allen Poren trat.
Nicht schwitzen.
Cool bleiben.
Du hast die Fäden in der Hand.
In der Redaktionssitzung hatte Tobler ihn heute auf den Stuhl neben sich platziert, um anschließend die Kollegen zu informieren, dass Josts Arbeit Priorität hatte.
Jetzt gab also er, Jost, die Richtung an. Er erteilte die Aufträge. Er war es, der Ramona Neuberger Anweisungen gab. Sie hatte wirklich gute Arbeit bei der Vergrößerung des Fotos geleistet, sodass der zweite Mann neben Oskar Winkler deutlich zu sehen war. Aber dennoch war er es dann gewesen, der die Richtung vorgab. Er wusste, wo er suchen musste, er spürte es einfach.
Er versuchte die Aufregung beiseitezuschieben. Schließlich hatte er seinen Auftritt geübt.
Myriam Singer betrat den Raum, gefolgt von Henri Liebler und Ron Fischer. Ohne ihre Robe sah die eiserne Lady nur halb so eisern aus.
Sie war zu groß und für seinen Geschmack zu dünn. Und diese Haare! Verfilzte Locken, die sie zu einem kunstlosen Knoten gedreht hatte. Das ließ auf Verklemmtheit schließen. Da kannte er sich aus. Er konnte Frauen nach dem Grad ihrer sexuellen Ausstrahlung klassifizieren.
Dabei ging es ihm nicht um Sexappeal. Sexappeal war künstlich. Nein, ihm ging es um die Signale der Bereitschaft. Er konnte sie riechen. Okay, sein Geruchssinn war in den letzten Monaten dabei gewesen zu verkümmern, aber wenn ihn nicht alles täuschte, dann war die Art, wie Ramona Neuberger sich heute über seine Schulter gebeugt hatte, so etwas wie ein Angebot gewesen. Mindestens sieben auf der Richterskala der sexuellen Bereitschaft.
Die eiserne Lady? Er taxierte sie aus den Augenwinkeln. Minus zwei. Er lachte laut auf. Alle drei schauten misstrauisch zu ihm herunter. Dann setzten sie sich schweigend. Er kannte dieses Spiel. Hatte es schon oft gespielt, wenn auch nur selten gewonnen. Denn die Spielregeln waren nie so, dass er gewinnen konnte. Er hoffte, es würde heute anders sein.
Es war Ron Fischer, der die Pressekonferenz eröffnete. Er begann mit den Ergebnissen zum Mord an Henriette Winkler. Sie waren bescheiden. Den Täter in die Wohnung gelassen, Schränke durchwühlt, Henriette Winkler auf die Terrasse geschleppt, mit Wasser übergossen, sie dort krepieren lassen. Neu war, dass der Täter den Mietwagen mit der Kreditkarte von Henriette Winkler bezahlt hatte. Die Kollegen schrieben brav mit, obwohl das meiste bereits zu ihnen durchgesickert war. Die wenigen Fragen, die an Fischer gerichtet wurden, waren vorhersehbar. Viele Spuren. Sie waren auf einem guten Weg.
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