Wintermörder - Roman
Kleyerstraße 17.«
»Kleyerstraße«, murmelte Liebler. »Dort hat auch die Winklerbau ihr Bürogebäude. Können Sie herausfinden, ob die Winklerbau polnische Zwangsarbeiter beschäftigte?«
»Nicht, wenn es keine Unterlagen darüber gibt. Aber das heißt nicht, dass es nicht der Fall war. Sie müssen sich vorstellen, dass während des Krieges etwa fünfundzwanzigtausend Fremd- und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene in Frankfurt zur Arbeit eingesetzt waren. Das ist die offizielle Zahl. Die tatsächliche Zahl der eingesetzten Ausländer lag mit Sicherheit viel höher.«
»Waren darunter auch Arbeiter aus Polen?«
»Aus Polen?« Westhof lachte kurz auf. »Was meinen Sie denn? Jeden Tag wurden in den Jahren zwischen 1941 und 1943 siebentausend Menschen allein aus dem Generalgouvernement verschleppt.«
»Die waren doch sicher irgendwo registriert?«
»Ein Teil der Meldeunterlagen wurde im Bombenkrieg unwiederbringlich vernichtet oder ging verloren. Dazu kommen die vielen Hausangestellten, die privat untergebracht und oft nicht gemeldet waren. Die Gestapo hat das toleriert, weil der Bedarf an Arbeitskräften groß war, aber die Möglichkeiten für die Unterbringung begrenzt. Die Tabelle zeigt alle Betriebe, in denen nachweisbar Fremd- und Zwangsarbeiter eingesetzt und untergebracht waren. Aber vollständig ist die Liste nicht.«
»Was passierte, wenn eine der Arbeiterinnen schwanger wurde?«, fragte Myriam. »Wir suchen nach einer Frau, die am 23. Februar 1945 ein Kind geboren hat.«
»Ein schwieriges Thema, das erst in den letzten Jahren aufgearbeitet wird.«
»Wo kamen diese Frauen hin?«
»Vielleicht in das Lager der Adlerwerke in der Froschhäuserstraße oder in das Städtische Krankenhaus. Aber am wahrscheinlichsten war Kelsterbach.« Myriam warf Liebler einen Blick zu, während Westhof mit seinen Erläuterungen fortfuhr: »Das war ein Durchgangslager des Gauarbeitsamtes, zu dem auch ein so genanntes Hilfskrankenhaus gehörte. Dort wurden Entbindungen vorgenommen.«
»Was ist mit den Kindern passiert?«
»Sie starben im Lager oder wurden weggebracht.« Westhof strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Weggebracht?«
»In andere Lager oder Kinderheime. Wenn sie blaue Augen, blondes Haar hatten, vielleicht sogar in eines der Lebensbornheime. Dann hatten sie Glück.«
»Was, wenn ich jetzt eine dieser Frauen finden will? Wenn eines dieser Kinder nach seiner Mutter sucht?«
»Dann können Sie nur die Melderegister durchschauen, ob sie registriert war.«
»Wenn nicht?«
»Dann versuchen Sie es im Herkunftsland oder in den Registern des Roten Kreuzes. Es kann allerdings sein, dass Sie die Nadel im Heuhaufen suchen. Wenden Sie sich lieber an das Herkunftsland.«
»Und wenn dort die betreffende Frau nicht gefunden wird?«
»Dann schreiben Sie eine Suchmeldung, die Sie an alle Archive schicken, die Unterlagen aufbewahren.«
»Wir haben keine Zeit.«
»Geschichte dauert«, antwortete Westhof.»Es sind sechzig Jahre vergangen.«
»Könnten Sie uns helfen?«, fragte Liebler.
»Was soll ich tun?«
»Ich schicke Ihnen zwei Beamte, die alle Melderegister und Unterlagen, die Sie zu den Lagern haben, prüfen sollen.«
»Wie heißt die Frau?«
»Sophia Fuchs.«
Westhof überlegte kurz. »Den Name habe ich erst vor kurzem gehört. Jemand hat danach gefragt.«
»Dr. Conradi?«, fragte Myriam.
Westhof nickte. »Ja, ich glaube, so hieß er. Ein Notar, soweit ich weiß.«
»Könnten Sie uns auch alle Informationen über die Firma Winkler geben, die Sie hier im Institut haben?« Liebler beugte sich nach vorne. »Insbesondere Material über die Projekte, die sie in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ausführte. Im In- und Ausland. Insbesondere interessiert uns Polen und Krakau.«
Westhof bejahte. »Wir werden unser Bestes tun.«
Liebler schüttelte langsam den Kopf. »Das Beste ist nicht genug. Denken Sie wie wir ständig daran: Es geht um das Leben eines Kindes.«
»Du musst sie beschlagnahmen.« Denise lief im Wohnzimmer ihres Hauses hin und her. Obwohl der Raum großzügig geschnitten war und kaum Möbel hatte, machte sie den Eindruck einer Gefangenen, als stieße sie überall an Grenzen. Offenbar hatte sie auch diese Nacht in dem schwarzen Trainingsanzug verbracht. Ihre Haare waren verfilzt. Die dunkeln Ränder unter den Augen verrieten, dass sie kaum geschlafen hatte. Ihr Vater dagegen saß regungslos auf dem Sofa. Er hatte noch kein einziges Wort gesagt.
»Genauso gut könnte ich eine Razzia im
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