Wintermörder - Roman
Beichtstuhl veranstalten«, erklärte Myriam, obwohl sie Denise innerlich recht gab.
»Das kann nicht sein«, schrie Denise. »Das darf nicht sein.«
»Denise.« Carl Winkler stand auf und ging auf seine Tochter zu. Die Hand, die er auf ihre Schulter legte, wischte sie weg. »Rühr mich nicht an!«, sagte sie. »Rühr mich nicht an! Sie ist schuld. Deine Mutter. Die du, ach Gott, so verehrt hast. Ihre Tüchtigkeit, ihren Erfolg, ihre Disziplin. Sie ist schuld, dass meine Mutter so früh gestorben ist. Sie allein. Sie hat sie zermürbt.«
»Das ist nicht wahr.«
»Sie war kalt, ehrgeizig, borniert. Und, wie sich jetzt herausstellt, einfach verlogen. All dieses Gerede um Ehre, um Anstand, um Fleiß, um ihre Verdienste.«
»Es gab Zeiten, da hast du sie bewundert«, sagte ihr Vater.
»Jetzt könnte ich kotzen. Schon lange könnte ich das. Seit Frederiks Geburt. Es war wie ein Umkrempeln. Seitdem sehe ich die Dinge klar. Sie war so verdammt streng zu Frederik. Ich habe das gehasst, wie er steif bei Tisch sitzen musste, zum Beispiel. Kein Wort durfte er sagen.«
»Was ist daran so schlimm?«, fragte Carl Winkler müde.
»Dass er es gemacht hat«, erwiderte Denise. »Es einfach gemacht hat, ohne zu widersprechen. Wie ich. Wie du. Wie wir alle. Das war schlimm.« Sie schwiegen.
Liebler saß scheinbar teilnahmslos da, doch Myriam wusste inzwischen, dass er hochkonzentriert war. Immer wieder griff seine Hand in die Tasche, in der die Zigaretten waren, dann entschied er sich anders.
»Was jetzt passiert«, fuhr Denise fort, »gibt mir recht. Ich wusste immer, dass etwas nicht stimmt. Was da jetzt hochkommt, das ist der Sumpf meiner Familie. Die Leichen im Keller. Ich dachte immer, dass es emotionale Leichen seien, nie hätte ich gedacht, dass es sich um Menschen handelte, die meine Familie auf dem Gewissen hat.«
»Noch wissen wir das nicht. Wir haben nur den Hinweis darauf, dass es sich um Zwangsarbeit handelt. Vermutlich ist es nur ein Mitarbeiter, der sich rächen will, weil Oliver ihn entlassen hat.«
Denise hörte nicht, was Myriam sagte, sie sprach einfach weiter. »Doch es hat ein Gutes. Ich fühle mich fast erleichtert. Er ist in Polen. Ich spüre es.«
»Er kann sonst wo sein«, versuchte Myriam sie zu überzeugen. »Ein Kind über die Grenze zu schaffen, ist nicht so einfach.«
Denise’ Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln. »Das glaubst du ja wohl selbst nicht. Ganze Lastwagen voller Flüchtlinge werden ständig verschoben. Da sieht auch keiner etwas oder will es nicht sehen. Einen kleinen Jungen kann man überall verstecken. Im Kofferraum. Hinter Kisten.«
»Wir haben bereits Kontakt nach Polen aufgenommen. Wir suchen nach dieser Sophia Fuchs«, sagte Liebler ruhig. »Dieser Beamte in Krakau, Matecki, ist wirklich engagiert.«
»Was hat diese Frau mit Frederik zu tun?«, schrie Denise.
Ihr Vater sagte nichts.
»Sag du es mir!«, brüllte sie ihn an. »Warum hat Henriette nach ihr gesucht?«
Er zuckte hilflos mit den Schultern, verbarg kurz das Gesicht in seinen Händen. »Ich weiß nicht, worum es geht.«
»Dein Vater war da gerade erst geboren.« Myriam legte den Arm um Denise’ Schultern. »Wenn deine Großmutter nie darüber gesprochen hat, kann er es nicht wissen, es ist über sechzig Jahre her.«
»Was habe ich dann damit zu tun?«
»Wir werden aus Polen sicher bald Informationen bekommen.«
»Wann?«, schrie Denise. »Wann?«
»Beruhige dich. Wenn es nötig ist, schicke ich Leute hin. Du musst jetzt ruhig bleiben. Ich bin sicher, dass Frederik noch lebt. Es geht diesem Entführer nicht darum, Geld zu erpressen. Er will euch emotional unter Druck setzen, euch quälen. Für etwas, das im Krieg geschehen ist. Ihr müsst jetzt zusammenhalten.«
»Was wissen Sie über Zwangsarbeiter?«, wandte sich Henri Liebler an Carl Winkler.»Hat Ihr Vater welche beschäftigt?«
»Darüber wurde nie gesprochen. Die Unterlagen der Firma wurden im Krieg bei den Bombardierungen vernichtet.«
»Wie praktisch«, zischte Denise. »Aber bist du dir da sicher? Vielleicht hat sie deine Mutter eigenhändig vernichtet? Ich kann es mir so richtig vorstellen, wie sie da steht, vor ihrem Safe, und ein Papier nach dem anderen verbrennt.«
Carl Winkler schüttelte den Kopf. »Nein.« Seine Stimme klang angespannt, seine Züge waren so starr, dass Myriam der Verdacht kam, dass er sich nicht wirklich sicher war.
»Hast du nie gefragt, was sie im Krieg gemacht haben?«
Denise ließ nicht locker. »Wusstest
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