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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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du nicht, dass deine Eltern Nazis waren?«
    »Nazis«, sagte Carl. »Nazis. Ich glaube nicht, dass sie es waren.«
    »Du hast doch gehört, sie waren beide in der Partei. Bereits 1931 sind sie eingetreten.«
    »Die Firma.«
    »Die Firma? Immer die Firma. Ist sie Gott?«
    »Ja«, antwortete Carl. »Ich glaube, das war sie für meine Mutter.«
    »Es ist das erste Mal, dass du das zugibst. Aber jetzt ist es zu spät.«
    »Warten wir doch die Ergebnisse aus Polen ab.« Liebler versuchte vergeblich, Denise zu beruhigen.
    »Ich fahre zu Dr. Conradi«, sagte Denise. »Er muss mir die Papiere geben.«
    »Das wird er nicht tun.«
    »Ich werde ihn dazu zwingen.«
    »Das kannst du nicht.« Myriam sagte Denise all das, was sie selbst nicht hören, nicht glauben, nicht akzeptieren wollte. Dennoch fuhr sie fort:»Wir brauchen dich hier am Telefon.«
    »Er ruft nicht an.« Denise erhob sich. Der Jogginganzug hing an ihr herunter. Seit drei Tagen hatte sie die Kleidung nicht gewechselt. »Seit drei Tagen warte ich auf einen Anruf, der nicht kommt.«
    »Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert«, sagte Myriam. »Du schaffst das nicht allein.«
    »Ich schaffe das nicht? Ich schaffe das nicht? Frederik schafft es vielleicht nicht. Er ist allein. Er braucht mich, er braucht mich doch!« Sie begann zu schluchzen und rutschte an der Wand entlang zu Boden. Ihre Arme hielt sie gegen den Körper gepresst, als versuche sie, das Schluchzen aus ihrem Inneren zu befreien, als sei es ihr nicht anders möglich, ihre Verzweiflung hinauszuschreien. Die Tränen strömten das Gesicht herunter.
    Wieder war es Liebler, der augenblicklich vor ihr kniete und ihre Hände in seine nahm.
    Was hatte er nur an sich?
    Wie machte er das?
    Myriam empfand Eifersucht, dass sie wieder nicht fähig war, Denise zu helfen, dass sie wieder nicht die richtigen Worte, nicht einmal die richtigen Gesten fand.
    War sie gefühlskalt? Unfähig, einer ihrer ältesten Freundinnen beizustehen?
    Denise schluchzte vor sich hin. Schließlich reichte ihr Myriam die eigene kalte Hand.
    Liebler erhob sich und nickte ihr zu.
    Carl Winkler hatte die ganze Zeit nichts gesagt. Doch es war unverkennbar, dass er kurz davor war, seine Fassung zu verlieren. Myriam fragte sich, wie er bisher alles ertragen hatte. Auch für ihn war es zu viel. Er musste nun auch noch die Vorwürfe seiner Tochter aushalten. Wenn der Täter das Ziel hatte, diese Familie zu zerstören, dann hatte er es bereits geschafft.
    Myriam blieb eine Weile in der Mitte von Henriette Winklers Salon stehen und sah sich um. Die Spurensicherung hatte das Unterste nach oben gekehrt. Sie war sicher, dass sie ihre Arbeit gründlich gemacht hatten. Doch sie hatten nach konkreten Spuren gesucht. Sie suchte nach etwas anderem. Sie wusste allerdings nicht genau, wonach, und beschloss dann, dass sie Henriettes Geist in dem Raum spüren wollte. Vielleicht war er noch nicht ins Jenseits abgereist, sondern noch immer hier.
    Zwar standen die Schubladen nicht mehr offen, dennoch hatte niemand sich die Mühe gemacht, Schallplatten und Bücher, die der Täter aus den Regalen herausgerissen hatte, wieder einzusortieren.
    Unwillkürlich setzte sie sich auf den Boden neben den Stapel Schallplatten und nahm eine nach der anderen in die Hand.
    Wagner, Tannhäuser, aufgenommen 1930 im Festspielhaus Bayreuth.
    Artur Rubinstein, Chopin, Balladen 1-4, 1960.
    Romane hatte die alte Dame offenbar nicht gelesen. Bücher waren kaum vorhanden.
    Sie stand auf und ging hinüber zum Regal. Hier waren lediglich Kunst- und Bildbände zu finden. Keine Landschaften, sondern Städte. Florenz, Rom, Venedig. Ein bisschen Paris. Nichts Amerikanisches. Auch England war nicht vertreten.
    Erneut wanderte ihr Blick umher.
    Zwei Batterien Römergläser in Blau für Wein und Sekt. Chinesisches Porzellan in einer Nussbaumvitrine.
    Ein Sekretär, wie er im 19. Jahrhundert der Dame des Hauses zur Verfügung stand. Da man keine Aktenordner dort aufbewahren, keinen Computer darauf stellen konnte, schien er ihr der geeignete Ort für Erinnerungen.
    Ohne lange zu überlegen tastete Myriam die Schubladen, das Holz, die Knöpfe ab wie ein Arzt, der vergeblich nach Veränderungen sucht. Doch nichts bewegte sich. Es gab keine geheimen Fächer. Was nicht hieß, dass es keine Geheimnisse gab.
    Sie öffnete die erste Schublade: Ein Füller, ein Kugelschreiber, ein Drehbleistift. Zweite Schublade. Vorräte an Briefpapier.
    Sterbebilder — Henriette Winkler hatte viele

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