Wintermörder - Roman
hinter deren hohen Mauern sich Geheimnisse verbargen. Aber jemand zwang sie dazu, in eine Vergangenheit zurückzugehen, von der sie nichts wissen wollte. Ihr ging es jedoch nur um ihren Sohn.
Sie wischte die Scheibe mit dem Ärmel des Mantels sauber und starrte hinauf.
Nur wenige Minuten später hielt das Taxi in der engen Gasse, in der sich das Hotel Amadeus befand, in dem sie das letzte Mal übernachtet hatten. Es lag nur wenige Schritte vom Hauptmarkt entfernt. Damals hatte sie geglaubt, unglücklich zu sein. Ihre Auseinandersetzungen mit Oliver wurden immer heftiger. Etwas in ihrem Leben zog sich immer enger zusammen, sodass sie das Gefühl hatte zu ersticken. Seit ihre Großmutter sich aus der Firma zurückgezogen hatte, übernahm Oliver immer mehr die Führung. Er traf Entscheidungen im Alleingang. Die Umstrukturierungen, die Entlassung langjähriger Mitarbeiter, die suspekten ausländischen Subfirmen, mit denen er Projekte abwickelte. Auf ihre Vorwürfe und Vorhaltungen hatte er stets entgegnet: »Was willst du? Ich bin dabei, deine Firma zu retten. Außerdem ist Henriette einverstanden. Sie ist fünfundachtzig, aber sie weiß, woher der Wind weht und wann es Zeit ist umzudenken. Henriette denkt im großen Stil.«
»Es ist schon lange nicht mehr meine Firma«, hatte sie geantwortet.
Sie hatte das Zimmer von Frankfurt aus reserviert. Es war kein Problem gewesen. Um diese Jahreszeit waren kaum Touristen in der Stadt. Es war zu kalt. Ein großes Thermometer, das vor dem Hotel hing, zeigte achtzehn Grad unter null. Weißer Atem kam aus dem Mund des Taxifahrers, als er ihren Koffer heraushob.
»Stopp!«, sagte sie plötzlich.
Er schaute sie überrascht an.
»I’ve changed my mind. I want to stay at another hotel.«
Sie zog den Geldbeutel aus der Handtasche und gab ihm fünfzig Euro.
Er stellte den Koffer zurück in den Kofferraum.
Sie stieg wieder ein. Es dauert nicht länger als zwei Minuten, bis sie bei dem anderen Hotel ankamen. Es lag am Rande eines weitläufigen Platzes, sodass sie sich sofort freier fühlte und dem Fahrer übertrieben viel Trinkgeld gab. Als er zufrieden nickte, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass sie einem ganzen Land Lösegeld zahlte.
Zehn Minuten später saß sie auf dem Bett in einem kleinen Zimmer. Der Koffer blieb unausgepackt im Raum stehen, denn sie blätterte bereits in dem Telefonbuch, um das sie gebeten hatte. Auf die Frage der jungen Frau an der Rezeption, ob sie jemanden suche, ob sie helfen solle, hatte sie verneint. Sie öffnete die Minibar und nahm eine Flasche Wodka heraus. Goss sich ein Glas ein und setzte sich an den Schreibtisch vor den Laptop.
Nein, sie war keine Touristin. Sie war hier, um zu arbeiten. Sie musste arbeiten, um zu überleben.
Der erste Name, den sie suchte, war Sophia Fuchs. Doch es gab niemanden in Krakau, der so hieß.
Von den zwanzig Männern auf der Liste, die für Oliver gearbeitet hatten, fand sie zwölf im Telefonbuch. Zehn von ihnen mehrfach.
Staszek Salik — zwei Einträge, Jarek Debski — vier Einträge,
Krzysztof Baranowski — ein Eintrag,
Ryszard Kadow — drei Einträge,
Michal Nowicki — zehn Einträge.
Akribisch notierte sie Telefonnummern und Adressen.
Es war ein Uhr nachts, als sie die Liste abschloss. Auf dem Platz vor dem Hotel war es jetzt ruhig geworden. Die Stadt schlief, aber Denise konnte ihr keine Ruhe gönnen. Sie griff zum Telefonhörer und wählte die erste Nummer. Ihr Herz schlug laut vor Aufregung. Was sollte sie sagen? Was fragen? Sollte sie einfach nur den Namen
Winkler
nennen? Und wenn aufgelegt wurde? Welche Sprache sollte sie sprechen?
Staszek Salik Nr. 1.
Sie rechnete mit allem, nur nicht damit, dass niemand abnahm.
Staszek Salik Nr. 2.
Nach zweimaligem Läuten die junge Stimme eines Mannes. Im Hintergrund laute Musik. Sie verstand kein Wort. Als der Piepston erklang, wusste sie lange nichts, dann sprach sie ihren Namen auf den Anrufbeantworter und bat auf Englisch, er möge sie zurückrufen. Sie habe Fragen zur Firma Winkler in Frankfurt. Noch bevor sie ihre Handynummer sagen konnte, war das Band zu Ende.
Jarek Debski 1.
Sie ließ es so lange klingeln, bis das Besetztzeichen ertönte.
Jarek Debski 2.
Dasselbe Ergebnis.
Erst bei Jarek Debski 3 nahm jemand ab. Eine verschlafene Frauenstimme. »Hallo?«
»Entschuldigen Sie bitte, kann ich Jarek Debski sprechen? Jarek Debski?«
Eine Frage folgte, die sie nicht verstand. Doch sie hörte aus der hohen Stimme das Misstrauen heraus,
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