Wintermörder - Roman
Taxifahrer der Stadt um Hilfe bitten.
Sie würde ihnen Geld anbieten. Sie sollten durch die Stadt fahren mit Martinshorn, mit Megafonen. Sie sollten seinen Namen ausrufen. Sie sollten die Stadtgebiete abfahren und laut nach ihm rufen. Wie die Polizei, bevor ein Gebäude evakuiert wurde, wie die Stadtwerke, wenn sie das Wasser abstellten, wie die Feuerwehr, wenn Gefahr drohte.
Jeder verdammte Rundfunk- und Fernsehsender dieser Stadt sollte Frederiks Bild zeigen.
Sie schreckte hoch.
War sie doch kurz eingeschlafen?
Zofia
Dienstag, 8. Februar 1944, Frankfurt
Über der Stadt liegt eine unheimliche Stille. Aus Angst vor Bombenangriffen wagt sich niemand aus dem Haus. Wie mag es meiner Mutter gehen und Leszek? Warum haben sie nie auf meine Briefe geantwortet, die Magda für mich zur Post gebracht hat?
Heute Morgen hat er die Frau ins Krankenhaus gefahren, und jetzt bin ich mit ihm alleine im Haus. Ich höre, wie er im Salon auf und ab geht. Das Radio läuft ununterbrochen. Er rechnet jede Minute mit einem neuen Angriff. Seit Tagen muss ich Mengen von Eimern mit Wasser füllen, denn die Frau hat einen Wassertick. Überall im Haus stolpert man über Kannen, Eimer, Töpfe. Jeden Tag muss das Wasser gewechselt werden. Noch vor ein paar Tagen hat der Mann gesagt, die Arbeit wäre für mich zu schwer, doch sie sagt, dass ich jung sei.
Er betrügt sie. Manchmal, wenn er in seinem Arbeitszimmer ist, dann telefoniert er. Ich nehme den Hörer oben ab. Es ist wie im Kino. Die Frau am Ende sagt: Ich liebe dich. Ich kann ohne dich nicht leben. Er aber schweigt. Dann weint sie, und er wird ungeduldig. Er sagt, es sei keine Zeit für Szenen. Es sei Krieg. Ich kann ihn verstehen. Die Frauen schluchzen und schreien hier so schnell.
Die Frau und er streiten ständig. Weil er ausgeht, während sie zu Hause bleibt, am Schreibtisch sitzt und arbeitet. Wenn es ihr zu viel wird, dann sagt sie, dass schon wieder jemand gefragt hat, weshalb er nicht im Krieg sei. Damit droht sie ihm.
Aber er lacht nur. Wenn ich auch noch gehe, dann bist du allein in der Firma. Willst du hinausfahren zum Flughafen und dort im Schlamm herumwaten? Jetzt, wo du endlich schwanger bist? Was, wenn du auch dieses Kind wieder verlierst?
Ich wünsche es mir von ganzem Herzen und hoffe, dass Gott mich nicht für diesen Gedanken bestraft. Wenn doch … wie muss diese Strafe aussehen, wo er mich doch schon seit Jahren büßen lässt.
Dafür, dass ich meinem Bruder das kleine Stück Schokolade weggegessen habe?
Dass ich meine Mutter belogen habe, als ich sagte, ich sei in die Schule gegangen, und stattdessen in den Planty spazieren ging?
War ich da nicht im Recht? Die Deutschen hatten die Schule geschlossen. Wir Kinder waren der Meinung, dass es das Beste war, was sie je gemacht hatten.
Magda sagt, wenn eine Frau in die Klinik muss, dann ist das keine gute Schwangerschaft.
Plötzlich kommt er in die Küche und sagt: »Ein Flugzeug kommt. Wir müssen in den Keller.«
Ich frage mich, was ein einziges Flugzeug anrichten soll.
Ich nehme den Korb mit dem Essen, das ich vorbereitet habe. Noch während wir auf dem Weg in den Keller sind, ertönt ein dumpfer Schlag, und das Licht geht aus. Ohne vorherige Warnung durch Sirenen fallen sofort die Bomben.
»Wo ist die Petroleumlampe?«, fragt er, sobald er die Kellertür geschlossen hat.
»Rechts neben der Tür«, antworte ich.
Gleich drauf erhellt ein schwaches Licht den Bunker.
Es ist alles so unwirklich. Das immer lauter werdende Motorengeräusch der Flugzeuge, das Aufschlagen der Bomben auf den Straßen und Dächern, das Krachen von Holz, das Klirren von zerbrechendem Glas, die berstenden Mauern. Alles verbindet sich zu einem nicht enden wollenden Dauergeräusch. Ich habe Angst.
Er dagegen ist völlig ruhig. Im Anzug sitzt er in dem Sessel, der mit rotem Samt überzogen ist, hat die Beine übergeschlagen, trinkt französischen Rotwein und raucht. Als ich seinen Blick auf mir spüre, bekomme ich keine Luft mehr.
Eine schwere Explosion erschüttert den Keller. Die Mauern schwanken. Der Kellerboden verwandelt sich in eine wogende Fläche.
Jetzt beten können wie die Frauen, die auf dem harten Steinboden in der Marienkirche knien.
»Wenn du erst einmal anfängst zu beten«, höre ich meine Mutter, »dann hast du die letzte Hoffnung verloren. Das ist dasselbe, wie wenn Ratten das sinkende Schiff verlassen.«
»Keine Angst«, sagt er. »Es wird nichts passieren. Schließlich habe ich diesen Keller gebaut. Er ist
Weitere Kostenlose Bücher