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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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der sicherste in ganz Frankfurt, das kannst du mir glauben. Haben wir es nicht gut? Überall drängen sich die Leute in den Kellern, und wir sind hier allein. Komm her zu mir und trink etwas. Das beruhigt.«
    Er gießt Wein in ein Glas und reicht es mir. Ich schütte ihn hinunter wie Wasser.
    Ich habe nicht das Gefühl, dass er an seine Frau denkt, die in der Stadt im Krankenhaus ist. Muss sie auch in den Keller? Wird sie getragen oder scheuchen sie die Frauen aus dem Bett?
    »Du bist hübsch, weißt du das?«
    Ich spüre, wie er näher rückt.
    Mir fällt nichts anderes ein, als den Kopf zu schütteln.
    »Ich dachte mir das schon damals in Krakau.«
    Seine Hand legt sich auf meine Wange.
    »Ich habe dich gesehen«, sagt er.»Vor dem Museum. Nur dachte ich damals, du bist älter als dreizehn.«
    Warum in Krakau? Ich verstehe es nicht. Mein Herz beginnt zu klopfen. Meine Hände zittern.
    Die Gegenstände im Keller bewegen sich. Das Regal mit den Vorräten schwankt. Draußen hören wir ein seltsames Knistern und Brausen, dazwischen wieder das Geräusch von krachendem Holz und Balken. Brandgeruch. Seine kalte Hand fährt meinen Hals hinunter und tastet sich in meinen Ausschnitt.
    Tränen schießen in meine Augen.
    Seine Lippen sind jetzt an meinen Ohren. »Nicht weinen.«
    Er stinkt nach Alkohol.
    »Du bist schön. Das ist kein Grund zu weinen. Du bist mein Geschenk. Der Führer hat dich mir geschenkt. Sag es. Sag:Ich bin dein Geschenk.« Er lacht laut auf.
    Ich kann nicht. Ich habe Todesangst. Nicht vor den Bomben, sondern vor ihm. Ich spüre den Schweiß auf meiner Stirn, als ob meine Haare schwitzen. Mein Gaumen ist trocken. Ich schütte den Wein hinunter.
    Trotzdem versuche ich es »Ich …«
    »… bin dein Geschenk«, fährt er fort, während seine Hand zwischen meine Beine greift.
    Ich starre auf die Petroleumlampe, die plötzlich auf dem Kopf steht und dann erlischt.
    Wenn es einen Schmerz gibt, der einen Körper spaltet, dann ist es derselbe, der mich für immer von mir trennt.
    Habe ich diese Strafe wirklich verdient?

Zwei Tage

27
    Als Denise Freitagmorgen aus dem Schlaf gerissen wurde, dauerte es eine Weile, bis ihr klar wurde, wo sie sich befand. Sie war in Krakau. Im Hotel. Die fremde Umgebung in Verbindung mit der Tatsache, dass das Telefon neben dem Bett läutete, versetzte sie augenblicklich in Panik. Niemand wusste, wo sie war. Wer also sollte sie anruen? Das Herz hämmerte gegen die Rippen. Sie versuchte den Atem so weit zu beruhigen, dass sie nach dem Hörer greifen und wenigstens ein Wort sagen konnte. »Ja?«
    »Frau Winkler?«
    »Was ist?«
    »Sie haben einen Besucher.« Hörte sie auf Englisch sagen.
    Niemand wusste, dass sie hier war.
    »Ein Besucher?«
    »Er heißt …« Die Frau von der Rezeption unterbrach kurz und sagte schließlich: »Marek Kadow.«
    Schlagartig erinnerte sie sich wieder. Sie hatte heute Nacht mit ihm telefoniert, der Arbeiter, dessen Vater an dem Einkaufszentrum in Kazimierz gearbeitet hatte.
    »Ich komme.«
    Sie sprang aus dem Bett und stieg in die Jeans, die nach Asphalt und frischem Teer roch.
    Ihr Blick fiel auf die Uhr. Zehn. Sie hatte tatsächlich geschlafen. Seit ihr Sohn verschwunden war, hatte sie es nie geschafft, länger als eine Stunde zu schlafen. Was anderes konnte dies bedeuten, als dass sie tatsächlich auf dem richtigen Weg war. Frederik war in Krakau. Er musste hier sein.
    Kadow, ein schlanker, groß gewachsener Mann um die dreißig, erhob sich von dem weißen Ledersofa im Foyer, als sie aus dem Aufzug trat. Unter dem anthrazitfarbenen Mantel trug er Jeans und ein blau-weiß kariertes Hemd. In seinen Händen hielt er eine schwarze Schildmütze. Wie Amerikaner legte er offenbar wert auf einen akkurat geschnittenen Kurzhaarschnitt, der die markante Kinnpartie betonte. Kurz, er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den polnischen Bauarbeitern, die Denise auf den Baustellen getroffen hatte.
    Nervös trat Denise auf ihn zu. Als sie ihm die Hand entgegenstreckte, beugte er sich darüber und deutete einen Kuss an, was sie sehr verwirrend fand. Verlegen sagte sie: »Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind.«
    »Ich habe mit meinem Vater telefoniert«, sagte er.»Können wir uns unterhalten?«
    Denise sah sich um. Die Empfangshalle des Hotels war leer. Um diese Jahreszeit war es nicht ausgebucht, denn wer wollte schon im Winter eine Stadt besuchen, in der die Temperaturen bis zu dreißig Grad minus sanken.
    »Vielleicht im Frühstücksraum?«, antwortete sie.

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