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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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war, daß er nicht zur Schule gehen konnte. Sie war nun für ihn da, wenn er sie brauchte, und litt nicht mehr unter den Schuldgefühlen einer berufstätigen Mutter. Natürlich hatte ihre Krankenversicherung nur achtzig Prozent der ärztlichen Behandlung am Montag morgen abgedeckt, und die zwanzig Prozent Eigenanteil hatten ihre Aufmerksamkeit erregt wie nie zuvor. Die Summe war ihr hoch vorgekommen. Aber das war das Denken der Beckermans, nicht das der McGarveys. Toby saß im Schlafanzug in einem Sessel im Wohnzimmer vor dem Fernseher, die Beine auf ein Fußbänkchen ausgestreckt, in Decken gehüllt. Er sah sich auf einem Kabelkanal, der ausschließlich Kindersendungen brachte, Zeichentrickfilme an. Heather wußte bis auf den Penny genau, wie teuer das Abonnement des Kabelkanals war. Damals im Oktober, als sie noch ihren Job gehabt hatte, hätte sie raten müssen und wäre nicht einmal um fünf Dollar in die Nähe des richtigen Betrages gekommen. Auf dem Bildschirm jagte eine winzige Maus eine Katze, die anscheinend hypnotisiert worden war und glaubte, die Maus sei zwei Meter groß und habe Fangzähne und blutrote Augen.
    »Orangensorbet für Feinschmecker«, sagte sie und gab Toby das Schüsselchen und den Löffel, »das beste auf der ganzen Welt, von mir selbst zubereitet. Ich habe mich stundenlang daran abgeplackt und mußte für die paar Löffel zwei Dutzend Sorbets töten und häuten.«
    »Danke, Mom«, sagte er und grinste zuerst sie und dann noch breiter das Sorbet an, bevor er den Blick wieder zum Fernsehgerät wandte. Von Sonntag bis Dienstag war er im Bett geblieben, ohne Theater zu machen; es war ihm so elend gegangen, daß er noch nicht einmal hatte fernsehen wollen. Er hatte so viel geschlafen, daß sie sich schließlich Sorgen machte, doch anscheinend war Schlaf genau das, was er brauchte. Gestern abend, zum erstenmal seit Sonntag, hatte er etwas anderes als Flüssigkeit bei sich behalten können. Er hatte um Eiscreme gebeten, und ihm war nicht schlecht davon geworden. An diesem Morgen hatte er es gewagt, zwei Scheiben Toast ohne alles zu essen, und nun das Sorbet. Sein Fieber hatte nachgelassen; die Erkältung schien nun ihren normalen Verlauf zu nehmen. Heather nahm in einem anderen Sessel Platz. Auf einem Ecktisch neben ihr standen eine kaffeebecherförmige Thermoskanne und ein schwerer, weißer Kaffeebecher mit roten und purpurnen Blumen darauf. Sie schraubte die Thermoskanne auf und schenkte mit Mandeln und Schokolade gewürzten Premium-Kaffee nach, genoß den Wohlgeruch und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was ein Becher von dieser Köstlichkeit kostete. Nachdem sie die Beine auf den Stuhl ausgestreckt, eine Decke über den Schoß gelegt und an dem Kaffee genippt hatte, griff sie nach der Taschenbuchausgabe eines Romans von Dick Francis. Sie schlug sie auf der Seite auf, vor die sie einen Zettel gelegt hatte, und versuchte, in eine Welt der britischen Manieren, Moral und Mysterien zurückzukehren. Sie kam sich schuldig vor, weil sie ein Buch las, obwohl sie keine ihrer Pflichten vernachlässigte. Der Haushalt war bereits erledigt. Als sie beide noch gearbeitet hatten, hatten sie sich die Hausarbeit geteilt. Sie teilten sie sich noch immer. Als sie entlassen worden war, hatte sie darauf bestanden, seine häuslichen Pflichten zu übernehmen, doch er hatte nichts davon hören wollen. Wahrscheinlich war er der Annahme, wenn er zuließ, daß sie ihre Zeit vollständig mit der Hausarbeit füllte, würde sie zur deprimierenden Ansicht gelangen, nie einen anderen Job zu finden. Er war immer so feinfühlig für das Empfinden anderer Menschen gewesen, wie er optimistisch war, was seine Zukunftsaussichten betraf. Demzufolge war das Haus geputzt und die Wäsche gewaschen, und sie mußte lediglich auf Toby aufpassen, was aber keine besonders schwierige Aufgabe war, da er ein braver Junge war. Ihre Schuld bestand in dem irrationalen, aber unausweichlichen Gefühl, eine Frau zu sein, die von Natur her und aus eigener Entscheidung arbeiten wollte, aber in dieser tiefen ökonomischen Depression nicht arbeiten durfte. Sie hatte sich bei sechsundzwanzig Firmen beworben. Jetzt konnte sie nur warten. Und Dick Francis lesen. Die melodramatische Musik und hohen Stimmen des Zeichentrickfilms lenkten sie nicht ab. Ganz im Gegenteil, der wohlriechende Kaffee, die Behaglichkeit des Sessels und das kalte Geräusch des Winterregens taten sich zusammen, lenkten ihre Gedanken von ihren Sorgen ab und ließen sie in den

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