Wintermond
Roman finden. Heather hatte fünfzehn Minuten gelesen, als Toby sagte: »Mom?«
»Hmm?« machte sie, ohne von dem Buch aufzusehen. »Warum wollen Katzen immer Mäuse töten?«
Sie legte den Daumen zwischen die Seiten, klappte das Buch zusammen und sah zum Fernsehgerät, auf dem eine andere Katze und eine andere Maus in eine andere Slapstick-Jagd verstrickt waren, bei der diesmal die Katze die Maus verfolgte.
»Warum können sie sich nicht mit Mäusen anfreunden«, fragte der Junge, »anstatt sie ständig umbringen zu wollen?«
»Das liegt einfach in der Natur einer Katze«, sagte sie. »Aber warum?«
»Weil Gott die Katzen so geschaffen hat.«
»Mag Gott keine Mäuse?«
»Tja, das muß er doch wohl, denn sie hat er ja auch geschaffen.«
»Aber warum hat er dann Katzen geschaffen, um sie zu töten?«
»Wenn Mäuse keine natürlichen Feinde wie Katzen oder Eulen und Kojoten hätten, würden sie die Erde überschwemmen.«
»Warum würden sie die Erde überschwemmen?«
»Weil sie nicht nur immer ein Baby, sondern ganze Würfe bekommen.«
»Und?«
»Und wenn sie keine natürlichen Feinde hätten, die ihre Zahl dezimieren würden, gäbe es eine Billion Milliarde Mäuse, die alle Nahrung auf der ganzen Welt vertilgen würde, und weder für Katzen noch für uns würde etwas übrig bleiben.«
»Wenn Gott nicht will, daß die Mäuse die Welt überschwemmen...warum hat er sie denn nicht so geschaffen, daß sie immer nur ein Baby bekommen?« Erwachsene verloren das Warum-Spiel stets, weil irgendwann die Fragekette in eine Sackgasse führte, aus der man nicht mehr herauskam.
»Da hast du mich erwischt, Kumpel«, sagte Heather.
»Ich finde es gemein, Mäuse so zu schaffen, daß sie viele Babys bekommen, und dann Katzen zu schaffen, um sie zu töten.«
»Ich fürchte, das mußt du mit Gott besprechen.«
»Du meinst, wenn ich heute abend zu Bett gehe und meine Gebete spreche?«
»Das wäre die beste Zeit dafür«, sagte sie und schenkte sich noch einmal aus der Thermoskanne nach.
»Ich stelle ihm immer Fragen«, sagte Toby, »und dann schlafe ich immer ein, bevor er mir antwortet.
Warum läßt er mich einschlafen, bevor ich die Antwort bekomme?«
»So ist Gott nun mal. Er spricht nur zu dir, wenn du schläfst. Wenn du zuhörst, wachst du dann mit der Antwort auf.« Darauf war sie stolz.
Hier schien sie sich behaupten zu können. Toby runzelte die Stirn. »Aber normalerweise kenne ich die Antwort nicht, wenn ich aufwache. Warum weiß ich nicht, ob Gott es mir erklärt hat?«
Heather trank einen Schluck Kaffee, um Zeit zu gewinnen. »Na ja«, sagte sie, »Gott will dir die Antworten nicht einfach nur geben. Wir sind hier auf dieser Welt, um die Antworten selbst zu finden, um zu lernen und etwas aus eigener Kraft zu verstehen.« Gut. Sehr gut. Sie fühlte sich mäßig zufrieden, als hätte sie ein Tennismatch gegen einen absoluten Weltklassespieler länger überstanden, als man eigentlich hätte erwarten können.
»Nicht nur Mäuse werden gejagt und getötet«, sagte Toby. »Bei jedem Tier gibt es immer ein anderes, das es in Stücke reißen will.« Er warf einen Blick zum Fernsehgerät. »Da, siehst du, Hunde wollen Katzen ermorden.« Die Katze, die die Maus gejagt hatte, wurde nun ihrerseits von einer wild aussehenden Bulldogge mit einem Stachelhalsband gejagt. Toby sah wieder zu seiner Mutter.
»Warum hat jedes Tier ein anderes, das es töten will? Würden auch Katzen ohne ihre natürlichen Feinde die Welt überschwemmen?« Das Warum-Spiel war in eine weitere Sackgasse geraten. Sicher, sie hätte ihm jetzt den Begriff der Erbsünde erklären, ihm erzählen können, wie die Welt ein heiterer Ort des Friedens und Überflusses gewesen war, bevor Adam und Eva in Ungnade gefallen waren und den Tod in die Welt gebracht hatten. Aber das schien ihr für einen Achtjährigen doch ein etwas zu starker Tobak zu sein. Außerdem war sie nicht sicher, ob sie wirklich daran glaubte, obwohl es die Erklärung für das Böse, die Gewalt und den Tod war, mit der sie aufgewachsen war. Zum Glück ersparte Toby ihr das Eingeständnis, keine Antwort zu haben. »Wenn ich Gott wäre, würde ich von jedem Ding nur eine Mom, einen Dad und ein Kind machen. Klar? Zum Beispiel einen Mutter-Retriever, einen Vater-Retriever und einen Welpen.«
Er wünschte sich schon seit langem einen Golden-Retriever, doch sie hatten bislang davon Abstand genommen, weil ihr Haus mit fünf Zimmern zu klein für einen so großen Hund war.
»Nichts würde
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