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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wartete.
    »Aber es ist schon spät. Ich bin müde. Wenn da draußen ein Bär ist, muß er bis morgen warten.«
    Gemeinsam stiegen er und Falstaff wieder zu seinem Zimmer hinauf. Auf einigen Stufen lag Dreck. Er hatte ihn unter seinen nackten Füßen gespürt, als sie hinabgegangen waren, und spürte ihn jetzt wieder. Auf der Brüstung stellte er sich auf das rechte Bein und wischte den linken Fuß ab. Dann stellte er sich auf das linke Bein und wischte den rechten Fuß ab. Ging über die Schwelle. Druckte die Tür zu und schloß sie ab.
    Schaltete das Treppenlicht aus. Falstaff war am Fenster und sah auf den Hinterhof hinaus, und Toby ging zu ihm. Der Schnee fiel in solchen Massen, daß er morgen wahrscheinlich drei Meter hoch liegen würde, vielleicht sogar fünf. Das Dach der Veranda unter ihnen war weiß. Der Boden war überall völlig weiß, so weit er blicken konnte, aber sehr weit konnte er gar nicht sehen, weil wirklich jede Menge Schnee runterkam. Toby konnte nicht einmal mehr den Wald erkennen. Das Gebäude des Hausmeisters wurde von peitschenden weißen Schneewolken verschluckt. Der Hund ließ sich zu Boden fallen und trottete davon, während Toby noch eine Weile den Schnee beobachtete. Als er müde wurde, drehte er sich um und sah, daß Fallstaff im Bett saß und auf ihn wartete. Toby glitt unter die Decke, was der Retriever jedoch nicht durfte. Wenn er den Hund unter die Decke ließ, würde er einen Schritt zu weit gehen. Das verriet Toby der unfehlbare Instinkt eines Achtjährigen. Wenn Mom oder Dad sie so fanden - der Kopf des Jungen auf dem einen Kissen, der des Hundes auf dem anderen, die Decke bis zu den Hälsen hochgezogen - würde es gewaltigen Arger geben. Er griff nach der Schnur, um die Vorhänge zuzuziehen, damit er und Falstaff an Bord eines Zuges schlafen konnten, der im tiefsten Winter durch Alaska fuhr. Er wollte ins Land des Goldrausches, um sich dort einen Claim zu sichern. Danach würde er Falstaff in Wolfsblut umbenennen. Doch als die Vorhänge sich schlossen, sprang der Hund hoch.
    »Herrgott, ist schon in Ordnung«, sagte Toby und zog die Vorhänge wieder auf. Der Retriever legte sich neben ihn, und zwar so, daß er die Tür der Hintertreppe im Auge behielt.
    »Dummer Hund«, murmelte Toby schon im Halbschlaf.
    »Bären haben doch keinen Türschlüssel...«
    Als Heather sich in der Dunkelheit an ihn schmiegte, von ihrem heißen Bad n och schwach nach Seife duftend, wußte Jack, daß er sie enttäuschen mußte. Er wollte sie, brauchte sie, weiß Gott, aber sein Erlebnis auf dem Friedhof ging ihm nicht aus dem Kopf. Da die Erinnerung schnell verblaßte, wurde es zunehmend schwieriger, sich an die Intensität der Gefühle zu erinnern, die Teil der unheimlichen Begegnung gewesen waren. Er drehte die Sache im Geiste immer wieder hin und her, untersuchte sie wiederholt aus jedem Blickwinkel, versuchte, eine plötzliche Erhellung zu finden, bevor sie, wie alle Erinnerungen, ein trockener und schwacher Abklatsch der wirklichen Erfahrung wurde. Inhalt des Gesprächs mit dem Ding, das durch Toby kommuniziert hatte, war der Tod gewesen - rätselhaft, vielleicht sogar unergründlich, aber mit Sicherheit der Tod. Und nichts dämpfte das Begehren so sicher wie Gedanken an Tod, Gräber und zerfallene Leichen alter Freunde. Das dachte er zumindest, als sie ihn berührte, ihn küßte, Liebkosungen murmelte. Statt dessen stellte er zu seiner Überraschung fest, daß er nicht nur bereit, sondern geradezu zügellos, daß er nicht nur dazu fähig, sondern von einer Kraft und Stärke war, wie er sie schon lange vor dem Schußwechsel, damals im März, nicht mehr gekannt hatte. Heather war so gebend und doch so fordernd, abwechselnd unterwürfig und aggressiv, schüchtern und doch erfahren und so begeistert wie eine Braut, die in einen neuen Ehehafen einlief, süß und seiden und lebendig, so wunderbar lebendig. Als er später auf der Seite lag und sie neben ihm einschlief, die Brüste gegen seinen Rücken gedrückt, wurde ihm klar, daß er, indem er mit ihr geschlafen hatte, die fürchterliche und doch dunkel verlockende Präsenz auf dem Friedhof zurückgewiesen hatte. Der Tag des düsteren Nachdenkens über den Tod hatte sich als perverses Aphrodisiakum erwiesen. Er lag mit dem Gesicht zu den Fenstern. Die Vorhänge waren geöffnet. Geister aus Schnee wirbelten an dem Glas vorbei, tanzende weiße Phantome, die sich zur Musik des flötenden Windes drehten, Walzer tanzende Geister, bleich und kalt, kalt und

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