Wintermond
Toby. Er hämmerte auf die Tastatur. Wie zuvor nahmen die Muster und Farben den Rhythmus seiner Anschläge auf der Tastatur an.
»Eine überaus komplizierte und ausdrucksreiche Sprache«, sagte Heather, »neben der Englisch, Französisch oder Chinesisch geradezu primitiv wirken.«
Toby hörte auf zu tippen, und die Reflexion des anderen Gesprächsteilnehmers war dunkel und aufgewühlt, schwarz und giftgrün, durchsetzt von roten Punkten.
»Nein«, sagte der Junge zu dem Bildschirm. Die Farben wurden mürrischer, der Rhythmus vehementer.
»Nein«, wiederholte Toby. Aufgewühlte, kochende, sich drehende Rottöne.
Ein drittes Mal: »Nein.«
»Was beantwortest du immer mit >nein« fragte Jack.
»Was es will«, erklärte Toby.
»Und was will es?«
»Es will, daß ich es hereinlasse, einfach hereinlasse.«
»O Gott«, sagte Heather und griff wieder nach dem Hauptschalter.
Jack hielt ihre Hand fest. Ihre Finger waren bleich und kalt.
»Was ist los?« fragte er, obwohl er insgeheim fürchtete, die Antwort schon zu kennen. Das Wort >hereinlassen< hatte ihm einen Schock versetzt, der fast so heftig war wie der von Anson Olivers Kugeln.
»Letzte Nacht«, sagte Heather und betrachtete entsetzt den Schirm. » In einem Traum.« Vielleicht war auch seine Hand kalt geworden. Oder sie hatte gemerkt, daß er zitterte. Sie blinzelte.
»Du hast den Traum auch gehabt!«
»Gerade eben. Bin deshalb wach geworden.«
»Die Tür«, sagte sie. »Es will, daß du eine Tür in dir findest, sie öffnest und es hereinläßt. Jack, verdammt, was geht hier vor, was, zum Teufel, geht hier vor?«
Er wünschte, er wußte es. Oder war Unwissenheit in diesem Fall besser? Er hatte größere Angst vor diesem Ding, als er in seiner Zeit als Cop jemals vor irgendwelchen Verbrechern verspürt hatte. Er hatte Anson Oliver getötet, aber er wußte nicht, ob er diesen Feind berühren konnte, wußte nicht, ob er ihn überhaupt finden oder sehen konnte.
»Nein«, sagte Toby zum Bildschirm. Falstaff winselte und zog sich in eine Ecke zurück, blieb dort stehen, verkrampft und wachsam.
»Nein. Nein.«
Jack kniete neben seinem Sohn nieder.
»Toby, im Augenblick kannst du uns beide hören, es und mich?«
»Ja.«
»Du stehst nicht völlig unter seinern Einfluß.«
»Nur ein wenig.«
»Du bist... irgendwo dazwischen.«
»Dazwischen«, bestätigte der Junge.
»Erinnerst du dich an gestern? Auf dem Friedhof?«
»Ja.«
»Erinnerst du dich, daß dieses Ding...durch dich gesprochen hat?«
»Was?« fragte Heather überrascht. »Was ist auf dem Friedhof passiert?«
Auf dem Monitor: wogendes Schwarz, aufplatzende Punkte aus kochendem Gelb, sickernde nierenrote Flecke.
»Jack«, sagte Heather wütend, »du hast gesagt, auf dem Friedhof wäre nichts passiert. Toby hätte einen Tagtraum gehabt - hätte einfach da gestanden und geträumt.«
»Aber unmittelbar, nachdem es passiert ist«, sagte Jack zu Toby, »konntest du dich an nichts mehr erinnern.«
»Nein.«
»Woran erinnern?« fragte Heather. »Woran, zum Teufel, soll er sich erinnern?«
»Toby«, sagte Jack, »kannst du dich jetzt daran erinnern, weil...weil du halb unter seinem Bann stehst, aber nur halb...weil du weder hier noch dort bist?«
»Dazwischen«, bestätigte der junge.
»Erzähl mir von diesen >Es<, mit dem du sprichst.«
»Hör auf, Jack«, sagte Heather.
Sie sah heimgesucht aus. Er wußte, wie sie sich fühlte. Aber er sagte: »Wir müssen etwas darüber erfahren.«
»Warum?«
»Vielleicht, um zu überleben.«
Er mußte es ihr nicht erklären. Sie wußte, was er meinte. Sie hatte im Schlaf ebenfalls einen gewissen Kontakt ertragen. Die Feindseligkeit des Dings. Die unmenschliche Wut.
»Erzähl mir darüber«, sagte er zu Toby.
»Was willst du wissen?«
Auf dem Bildschirm: Blau in allen Schattierungen. Es breitete sich aus wie ein Fächer, aber ohne die scharfen Ränder, ein Blau über und unter dem anderen.
»Woher kommt es, Toby?«
»Von draußen.«
»Was meinst du damit?«
»Jenseits.«
»Jenseits wovon?«
»Dieser Welt.«
»Ist es...außerirdisch?«
»O mein Gott«, sagte Heather.
»Ja«, sagte Toby. »Nein.«
»Was denn nun, Toby.«
»Nicht so einfach wie...E. T Ja. Und nein.«
»Was macht es hier?«
»Es wird.«
»Wird wozu?«
»Zu allem.«
Jack schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte der Junge und richtete den Blick auf die Darstellung auf dem Computermonitor.
Heather ballte die Hände zu Fäusten und
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