Wintermond
den Versuch des abscheulichen Dings, sich als Quelle großer Erleichterung,
des Friedens urnd Vergnügens darzustellen. Es ist kein Geber. Das ist eine Lüge. Es ist ein Nehmer. Du mußt immer >nein< zu ihm sagen.« Toby sah zu ihr hoch.
Sie zitterte. »Hast du mich verstanden, Schatz?«
Er nickte. Sie war noch immer nicht sicher, daß er ihr überhaupt zuhörte. »Du sagst >nein<, immer nur >nein<.«
»Na schön.«
Sie warf den Game Boy in den Mülleimer. Nach kurzem Zögern holte sie ihn wieder heraus, legte ihn auf den Boden und trat mit den Stiefel drauf, einmal, zweimal. Dann rammte sie noch den Absatz hindurch, obwohl das Gerät nach zwei Tritten schon völlig zerquetscht war, dann noch einmal, um sicher zugehen, daß noch einmal, weil es ihr Spaß machte, bis ihr klar wurde, daß sie die Kontrolle verloren hatte und überzogene Maßnahmen gegen den Game Boy ergriff, weil sie an den Geber nicht herankam, den sie in Wirklichkeit zerquetschen wollte. Ein paar Sekunden lang stand sie sclwer atmend da und starrte die Plastiktrümmer an. Sie bückt sich, um sie einzusammeln, sagte sich dann aber Zum Teufel damit! und trat die größeren Teile gegen die Wand. Falstaff fand so viel Interesse an den Vorgängen, daß er sich erhob. Als Heather zu dem Fenster an der Spüle zurückkehrte, betrachtete der Retriever sie neugierig und lief dann zum zertrümmerten Game Boy und schnüffelte daran, als wolle er feststellen, womit der ihren Wutanfall ausgelöst hatte. Hinter dem Fenster hatte sich nichts verändert. Eine vom Wind getriebene Schneelawine verdunkelte den Tag fast so gründlich, wie ein von Pazifik kommender Nebel die Straßen einer kalifornischer Stadt am Meer verdunkeln konnte.
Sie sah Toby an. »Bist du in Ordnung?«
»Ja.«
»Laß es nicht herein.«
»Ich will es ja nicht hereinlassen.«
»Dann laß es auch nicht herein. Sei stark. Du schaffst es.« Auf der Küchenzeile sprang unter dem Mikrowellenherd das Radio aus eigenem Antrieb an, als hätte man einen eingebauten Wecker auf ein paar Minuten Musik vor dem Summton programmiert. Es war ein riesiger Breitband-Empfänger, so groß wie zwei Schachteln Cornflakes, der sowohl inländische Kurz- als auch Langwellensender hereinbekommen konnte; doch es war kein Wecker, den man darauf programmieren konnte, sich zu einer bestimmten Zeit einzuschalten.
Und doch leuchtete die Senderskala mit grünem Licht, und seltsame Musik drang aus den Lautsprechern. Aber die Tonfolgen und die sich überlappenden Rhythmen waren eigentlich gar keine Musik, sondern nur die Elemente davon, in dem Sinne, wie ein Stapel Bretter und ein Haufen Schrauben Elemente eines Schrankes bilden. Sie konnte die verschiedenen Instrumente unterscheiden - Flöten, Oboen, Klarinetten, alle möglichen Hörner, Geigen, Pauken, Trommeln -, vernahm jedoch keine Melodie, keine identifizierbare zusammenhängende Struktur, nur die Ahnung einer solchen, die zu schwach war, um sie deutlich herauszuhören, Tonwellen, die manchmal angenehm und manchmal kreischend mißtönend waren, mal laut, mal leise, abnehmend und fließend.
»Vielleicht«, sagte Toby.
Heathers Aufmerksamkeit hatte dem Radio gegolten. Überrascht drehte sie sich zu ihrem Sohn um. Toby hatte sich erhoben. Er stand neben dem Tisch, schaute durch den Raum aufs Radio und schwankte wie ein schlankes Schilfrohr in einer Brise, die nur er wahrnehmen konnte. Seine Augen waren glasig. »Na ja...ja, vielleicht...vielleicht...« Das unmelodische Klanggewebe aus dem Radio war das musikalische Gegenstück zu den sich ständig verändernden Farben, die über die Bildschirme des Fernsehgeräts, des Computers und des Game Boys geflutet waren: eine Sprache, die sich anscheinend direkt an das Unterbewußtsein wandte. Heather spürte den hypnotischen Sog ebenfalls, obwohl er bei ihr nicht annähernd so stark war wie bei Toby. Toby war der Verletzbare. Kinder waren immer die leichteste Beute, natürliche Opfer in einer grausamen Welt.
»Das würde mir gefallen...schön...hübsch«, sagte der Junge verträumt und seufzte dann.
Wenn er ja sagte, wenn er die innere Tür öffnete, würde er diesmal vielleicht nicht imstande sein, das Ding gewaltsam zu vertreiben. Vieleicht war er dann für immer verloren.
»Nein!« sagte Heather.
Sie griff nachdem Stecker des Radios und zog ihn so heftig aus, der Steckdose an der Wand, daß die Zinken sich verbogen. Gelbe Funken sprühten aus der Öffnung und regneten auf die Arbeitsfläche. Trotz des herausgezogenen
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