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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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verließ. Es war mutig. Es war klug und vernünftig, ihre beste Überlebenschance. Trotzdem kam es ihm wie Verrat vor. Es kam ihm vor, als würde er sie im Stich lassen.

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Wind zischte an den Fenstern, als besäße er ein eigenes Bewußtsein und beobachtete sie. Er rüttelte und klapperte an der Küchentür, als wolle er das Schloß auf die Probe stellen, und fuhr kreischend und schnüffelnd an den Seiten des Hauses entlang, als suche er nach einer Schwachstelle in ihrer Verteidigung.
    Heather zögerte, die schwere Uzi abzulegen, hielt eine Weile am nördlichen Küchenfenster Wache und ging dann zum westlichen, dem über der Spüle. Gelegentlich hob sie den Kopf und lauschte auf jene Geräusche, die ihr zu auffällig vorkamen, als daß es sich nur um Stimmen des Sturms handeln konnte. Toby saß am Tisch. Er hatte einen Kopfhörer übergestülpt und spielte mit einem Game Boy. Seine Körpersprache war anders als die, die er normalerweise zeigte, wenn er mit einem elektronischen Spiel beschäftigt war - kein Zucken, Vorbeugen, Schaukeln von einer Seite zur anderen, kein Aufspringen. Er spielte nur, um die Zeit totzuschlagen. Der Hund lag in der Ecke, die von beiden Fenstern am weitesten entfernt war, der wärmsten Stelle des Raums. Gelegentlich hob er den edlen Kopf, sog die Luft ein oder lauschte; meistens lag er jedoch auf der Seite, schaute auf Bodenhöhe durch den Raum und gähnte. Die Zeit schritt nur langsam voran. Heather sah wiederholt auf die Wanduhr, überzeugt, daß mindestens zehn Minuten verstrichen sein mußten, nur um herauszufinden, daß seit ihrem letzten Blick dorthin nur zwei Minuten vergangen waren.
    Die drei Kilometer zur Ponderosa Pines würde man bei schönem Wetter vielleicht in fünfundzwanzig Minuten zurücklegen können. In diesem Sturm jedoch würde Jack eine Stunde brauchen, vielleicht sogar anderthalb, wenn er durch den kniehohen Schnee stapfen, Umwege um höhere Verwehungen einlegen und den unaufhörlichen Widerstand der Böen überwinden mußte. Wenn er die Ranch erreicht hatte, benötigte er vielleicht eine halbe Stunde, um die Situation zu erklären und eine Rettungsmannschaft zusammenzutrommeln. Zurück würde er keine fünfzehn Minuten brauchen, selbst wenn sie einige verschneite Stellen der Straße und der Auffahrt freipflügen mußten. Er müßte in spätestens zwei Stunden und fünfzehn Minuten wieder zurück sein, vielleicht sogar eine halbe Stunde früher. Der Hund gähnte. Toby war so ruhig, daß er im Sitzen hätte schlafen können. Sie hatten den Thermostat heruntergedreht, damit sie ihre Skianzüge tragen und das Haus, wenn erforderlich, jederzeit verlassen konnten, und doch war es noch warm im Haus. Ihre Hände und das Gesicht waren kühl, doch der Schweiß tröpfelte das Rückgrat und die Seiten ihrer Unterarme hinab. Heather öffnete den Reißverschluß der Jacke, obwohl diese ihr bei dem Halfter in die Quere kommen konnte, wenn sie offenstand. Als fünfzehn Minuten ereignislos verstrichen waren, hoffte Heather allmählich, ihr unberechenbarer Widersacher würde nichts gegen sie unternehmen. Entweder begriff er nicht, daß sie ohne Jack zur Zeit verwundbarer waren, oder es war ihm gleichgültig. Nach allem, was Toby gesagt hatte, war das Ding die Verkörperung von Arroganz - es hatte nie Angst - und ging vielleicht stets nach seinem eigenen Rhythmus vor, nach seinen Plänen und Begierden. Ihre Zuversicht wuchs, doch dann begann Toby leise zu sprechen. »Nein, ich glaube nicht.« Die Worte waren nicht an seine Mutter gerichtet. Heather trat vom Fenster weg.
    »Na ja...« murmelte er. »Vielleicht.«
    »Toby?« sagte sie.
    Er achtete gar nicht auf sie und starrte auf den Bildschirm des Game Boys. Seine Finger bewegten die Kontrollen nicht. Es fand auch kein Spiel statt: Formen und grelle Farben, ähnlich denen, die sie schon zweimal gesehen hatte, huschten über den Miniaturmonitor.
    »Warum?« fragte er. Sie legte eine Hand auf seine Schulter. »Vielleicht«, sagte er zu den wirbelnden Farben auf dem Bildschirm. Als er zuvor mit dieser Wesenheit gesprochen hatte, hatte er immer >nein< gesagt. Das >Vielleicht< beunruhigte Heather.
    »Könnte sein, vielleicht«, sagte er. Sie nahm ihm den Kopfhörer ab, und endlich sah er zu ihr auf. »Was tust du da, Toby?«
    »Ich unterhalte mich«, sagte er mit halbbenommener Stimme. »Zu wem hast du >vielleicht< gesagt?«
    »Zum Geber«, erklärte er.
    Sie erinnerte sich aus ihrem Traum an diesen Namen, an

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