Wintermond
und die Waffe sich hob und senkte. Die Haustür bog sich nach innen. Ein Dschungel aus langen, rotgefleckten, schwarzen Tentakeln brach funkelnd und zuckend durch den Spalt zwischen Türblatt und Rahmen. Also gab es zwei von ihnen, eins vor und eins hinter dem Haus. Die Uzi hämmerte. Sechs Schuß, vielleicht acht. Die Tür schloß sich wieder. Aber eine geheimnisvolle, dunkle Gestalt kauerte sich gegen sie; ein kleiner Teil davon war durch das abgeschrägte Glasfenster oben in der Tür zu sehen. Ohne abzuwarten, ob sie das Arschloch tatsächlich getroffen oder nur die Tür und Wand versengt hatte, wirbelte Heather wieder zur Küchentür herum und gab aus der Drehung drei oder vier Schüsse durch die leere Diele ab. Da war aber nichts. Sie war der festen Überzeugung gewesen, daß das erste Ungetüm sie von hinten angreifen würde. Falsch gedacht. Im Magazin der Uzi waren vielleicht noch zwanzig Schuß. Vielleicht auch nur fünfzehn. Sie konnten nicht in der Diele bleiben. Nicht wenn eins der verdammten Dinger in der Küche und ein anderes auf der vorderen Veranda lauerten. Warum war sie immer davon ausgegangen, es nur mit einem Monster zu tun zu haben? Weil es in dem Traum nur eins gegeben hatte? Weil Toby nur von einem Verführer gesprochen hatte? Vielleicht waren es mehr als zwei. Hunderte. Sie stand zwischen dem Wohn- und dem Eßzimmer. Beide Räume konnten letztlich zu einer Falle für sie werden. In verschiedenen Zimmern im Erdgeschoß brachen gleichzeitig die Fenster ein.
Das Klirren von zerspringendem Glas und das Kreischen des Windes hinter allen Fensteröffnungen halfen ihr, eine Entscheidung zu treffen.
Hinauf! Sie und Toby würden nach oben gehen. Da konnte sie sich leichter verteidigen. Sie griff nach dem Benzinkanister. Die Haustür hinter ihr sprang wieder auf und knallte gegen die verstreuten Gegenstände, mit denen sie den Alarmturm gebaut hatten. Sie vermutete, daß etwas anderes als der Wind die Tür aufgestoßen hatte, drehte sich aber nicht um. Der Geber zischte. Wie in dem Traum. Sie sprang zu der Treppe, und das Benzin schwappte in dem Kanister hoch.
»Geh, geh!« schrie sie Toby an. Der Junge und der Hund liefen vor ihr zum Obergeschoß hinauf.
»Wartet oben!« rief sie ihnen nach, als sie außer Sicht verschwanden. Am Kopf der ersten Treppenflucht blieb Heather auf der Brüstung stehen und sah einen Toten, der auf sie zukam. Eduardo Fernandez.
Sie erkannte ihn anhand der Fotos, die sie gefunden hatten, als sie seine Besitztümer durchsahen. Seit über vier Monaten tot und begraben. Trotzdem bewegte er sich watschelnd und steifgliedrig, stapfte durch die Schüsseln und Pfannen und Gläser und hielt auf den Fuß der Treppe zu, während Schneeflocken um ihn wirbelten wie Asche von den Feuern der Hölle. Es konnten keine Empfindungen mehr in der Leiche sein, nicht mehr die geringste Spur von Ed Fernandez' Bewußtsein, denn der Verstand und die Seele des Mannes waren an einen besseren Ort übergewechselt, bevor der Geber seine Leiche requiriert hatte. Der mit Erde beschmutzte Kadaver wurde offensichtlich von derselben Kraft beherrscht, die auch über eine beträchtliche Entfernung hinweg das Radio und das Fernsehgerät eingeschaltet, die Riegel und Schlösser ohne Schlüssel geöffnet und die Fensterscheiben eingedrückt hatte. Vielleicht Telekinese, die Herrschaft des Geistes über die Materie, Eines außerirdischen Geistes über irdische Materie. In diesem Fall handelte es sich um zersetzende organische Materie von der ungefähren Gestalt eines Menschen. Die Leiche blieb am Fuß der Treppe stehen und blickte zu Heather empor. Ihr Gesicht war nur leicht angeschwollen, wenn auch dunkel verfärbt, purpurn, mit ein paar gelben Tupfern hier und da und einer grünen Kruste unter den verstopften Nasenlöchern. Ein Auge fehlte. Das andere war mit einem gelben Film bedeckt und wölbte sich gegen ein halb geschlossenes Lid, das zwar von einem Leichenbestatter zugenäht worden war, sich aber wieder teilweise geöffnet hatte, da die verrottenden Fäden nicht hielten. Heather hörte, daß sie schnell und rhythmisch etwas vor sich hinmurmelte. Nach einem Augenblick begriff sie, daß sie fieberhaft ein langes Gebet aufsagte, das sie als Kind auswendig gelernt, aber seit achtzehn oder zwanzig Jahren nicht mehr wiederholt hatte. Hätte sie sich unter anderen Umständen bewußt bemüht, sich an die Worte zu erinnern, wäre es ihr nicht mal mehr zur Hälfte eingefallen, doch nun sprudelte es aus ihr heraus
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