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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wie damals, als sie als junges Mädchen in der Kirche gekniet hatte. Der wandelnde Leichnam war jedoch nur zum Teil der Grund für die Furcht und den Ekel, die ihren Magen zusammenzogen, ihr das Atmen unmöglich machten und ihren Würgereflex auslösten. Es war ein abscheulicher Anblick, aber das verfärbte Fleisch löste sich noch nicht von den Knochen. Der Tote roch mehr nach Einbalsamierungsflüssigkeit als nach Verwesung, ein beißender Gestank, der mit einem kalten Windzug die Treppe hinaufwehte und Heather augenblicklich an den Biologieunterricht auf der High-School und schlüpfrige Frösche erinnerte, die sie aus Behältern mit Formaldehyd fischten, um sie zu sezieren.
    Weitaus widerwärtiger und abstoßender war der Geber, der auf der Leiche ritt wie auf einem Lasttier. Obwohl das Licht in der Diele so hell war, daß sie den Außerirdischen deutlich ausmachen konnte, und obwohl sie gewünscht hätte, weniger statt mehr von ihm zu sehen, war sie nichtsdestoweniger nicht imstande, seine körperliche Gestalt genau zu beschreiben. Der Großteil des Dings schien am Rücken des Toten zu hängen, gehalten von peitschenähnlichen Tentakeln - manche so dünn wie Bleistifte, andere wiederum so dick wie ihr Unterarm, die sich fest um die Schenkel, Hüften, Brust und den Hals des Reittieres schlangen. Der Geber war größtenteils schwarz, und zwar von einem so tiefen Schwarz, daß es sie in den Augen schmerzte, ihn anzusehen, obwohl an manchen Stellen der Kohlenglanz von blutro ten Tupfen erhellt wurde.
    Hätte sie nicht Toby beschützen müssen, wäre es Heather vielleicht nicht möglich gewesen, das Ding anzusehen, denn es war zu fremd, unbegreiflich, einfach zu viel. Bei seinem Anblick wurde ihr schwindlig, als hätte sie Lachgas eingeatmet, und sie stand tatsächlich am Rand eines verzweifelten, albernen Gelächters, einer verzweifelten Fröhlichkeit, die dem Wahnsinn gefährlich nahekam. In ihrer Angst, das unheimliche Wesen könnte jeden Augenblick zu ihr aufschließen, wagte Heather es nicht, den Blick von der Leiche oder dem schrecklichen Reiter abzuwenden. Langsam stellte sie den Benzinkanister auf dem Boden der Brüstung ab. Am Rücken der Leiche, im Zentrum der brodelnden Tentakelmasse, mochte sich ein Hauptkörper befinden, ähnlich dem eines Tintenfisches, mit funkelnden, unmenschlichen Augen und einem verzerrten Mund - doch falls es ihn gab, konnte sie ihn nicht sehen. Statt dessen schien das Ding nur aus tauähnlichen Extremitäten zu bestehen, die unaufhörlich zuckten, sich zusammenzogen und kräuselten und wieder entfalteten. Obwohl der Geber unter seiner Haut schlammig und gelatineartig zu sein schien, bildete er manchmal dornige Ausläufer, die sie an Hummer, Krabben oder Flußkrebse erinnerten - auch wenn sie mit einem Wimpernschlag wieder verschwanden und nur flüssiges Gleiten blieb. Als Heather auf dem College gewesen war, hatte man bei einer ihrer Freundinnen - Wendi Felzer - Leberkrebs festgestellt, und Wendi hatte sich entschlossen, die Behandlung durch ihre Ärzte mit einem Kursus in Selbstheilung durch Gedankentherapie zu unterstützen. Wendi hatte sich ihre weißen Blutkörperchen als Ritter in leuchtenden Rüstungen mit magischen Schwertern vorgestellt, den Krebs als Drachen, und hatte zwei Stunden täglich meditiert, bis sie in ihrer Vorstellung sah, wie diese vielen Ritter das Ungeheuer töteten. Der Geber war die Urgestalt einer jeden Vorstellung, die man sich von Krebs machen konnte, die gleitende Verkörperung von Boshaftigkeit. Bei Wendi hatte der Drache gewonnen. Es war nicht hilfreich, daß Heather sich ausgerechnet jetzt daran erinnerte, ganz und gar nicht. Das Ding stieg die Treppe zu ihr hinauf. Sie hob die Uzi. Der abscheulichste Aspekt der Verbindung des Gebers mit der Leiche war das Ausmaß der Intimität. Die Knöpfe waren von dem weißen, weit offenstehenden Totenhemd abgesprungen, und ein paar Tentakel hatten den Thoraxschnitt aufgestemmt, den der Leichenbeschauer bei seiner Obduktion vorgenommen hatte; diese rotgesprenkelten Anhängsel verschwanden in dem Kadaver,
    drängten sich tief in unbekannte Bereiche seines kalten Gewebes. Das Geschöpf schien in seiner Verbindung mit dem toten Fleisch zu schwelgen, eine Umarmung, die genauso unerklärlich wie obszön war. Schon seine bloße Existenz war anstößig. Daß es so etwas überhaupt gab, schien ein Beweis dafür zu sein, daß das Universum ein Irrenhaus war, voller Welten ohne Bedeutung und heller Galaxien ohne

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