Wintermond
Alkoven, drehte sich aber zu dem um, was auch immer dort warten mochte. Er bellte nicht mehr. Knurrte und jaulte auch nicht. Er wartete einfach, hatte die Zähne gefletscht, zitterte vor Furcht, war aber bereit, den Kampf aufzunehmen. Eine Hand glitt zwischen den Vorhängen hindurch und griff aus der Nische. Sie bestand hauptsächlich aus Knochen unter einem zerfetzten Handschuh aus zerknitterter, lederartiger Haut, die mit Humus bedeckt war. So ein Ding konnte ganz bestimmt nur lebendig sein, wenn man daran glaubte, denn diese Hand war viel unmöglicher als der Osterhase, hundert Millionen mal unmöglicher. An der verfallenden Hand hingen noch ein paar Fingernägel, doch sie waren schwarz geworden, sahen aus wie funkelnde Schalen fetter Käfer. Wenn er nicht die Augen schließen und das Ding wegwünschen und wenn er auch nicht davonlaufen konnte, dann mußte er wenigstens nach seiner Mutter schreien, so erniedrigend das für einen Jungen von fast neun Jahren auch sein mochte. Aber sie hatte schließlich die Maschinenpistole und nicht er. Ein Handgelenk wurde sichtbar, ein Unterarm mit etwas mehr Fleisch darauf, der zerrissene und schmutzige Ärmel einer blauen Bluse oder eines Kleides. Mom! Er rief das Wort, hörte es aber nur in seinem Kopf, denn kein Ton kam über seine Lippen. Ein rotgesprenkeltes schwarzes Armband lag um das verfallene Handgelenk. Es leuchtete. Es schien neu zu sein. Dann bewegte es sich, und es war kein Armband mehr, sondern ein schleimiger Wurm, nein, ein Tentakel, der sich um das Gelenk schlang und unter dem schmutzigen blauen Ärmel irn verfaulenden Unterarm verschwand. Mom, hilf mir! Elternschlafzimmer. Kein Toby. Unter dem Bett? Im Schrank, im Bad? Nein, verschwende gar nicht erst die Zeit, nach ihm zu suchen. Der Junge würde sich vielleicht verstecken, aber der Hund nicht. Er muß auf sein Zimmer gegangen sein. Zurück in die Diele. Hitzewellen. Wild zukkendes Licht und Schatten. Das Knistern, Zischen, Knurren und Heulen des Feuers. Sie hustete, weil der dünne, aber bittere Rauch in ihre Lungen drang, und lief zum hinteren Teil des Hauses. Der Kanister schwang in ihrer linken Hand. Das Benzin schwappte. Die rechte Hand war leer. Sollte eigentlich nicht leer sein. Verdammt! Sie blieb kurz vor Tobys Zimmer stehen, drehte sich um und schaute in das Feuer und den Rauch zurück. Sie hatte die Uzi auf dem Boden am Kopf der Treppe vergessen. Das Doppelmagazin war zwar leer gewesen, aber die Taschen ihres Skianzuges quollen vor Ersatzmunition über. Dumm. Nicht daß Waffen gegen das unheimliche Ding geholfen hätten. Kugeln machten ihm nichts aus, hielten es nur auf. Aber zumindest war die Uzi eine gewisse Stütze gewesen und hatte mehr Feuerkraft als der .38er an ihrer Hüfte. Sie konnte sie nicht holen. Konnte kaum noch atmen. Es fiel ihr immer schwerer. Das Feuer verzehrte den gesamten Sauerstoff. Und die brennende, peitschende Erscheinung stand bereits zwischen ihr und der Uzi. Sie wußte nicht, wieso, aber in diesem Augenblick mußte sie an Alma Bryson mit ihrem Waffenarsenal denken: die hübsche schwarze Lady, klug und freundlich, Polizistenwitwe, und ein verdammt zähes Miststück, das mit allem fertig wurde. Und an Gina Tendero mit ihrem schwarzen Lederanzug und der chemischen Keule und vielleicht einer illegal erworbenen Handfeuerwaffe in der Handtasche. Wären sie jetzt doch nur hier, an ihrer Seite. Aber sie waren unten in der Stadt der Engel, warteten auf das Ende der Welt, bereiteten sich darauf vor, während das Ende der Welt ausgerechnet hier in Montana eingeläutet wurde. Plötzlich schossen Rauchwolken aus den Flammen, von einer Wand zur anderen, vom Boden bis zur Decke. Dunkel und wirbelnd. Der Geber verschwand. In ein paar Sekunden würde Heather gar nichts mehr sehen können. Sie hielt die Luft an und taumelte an der Wand entlang zu Tobys Zimmer. Sie fand die Tür und trat über die Schwelle, hinaus aus dem schlimmsten Rauch. In genau diesem Augenblick schrie er auf.
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Die Mossberg-Schrotflinte mit beiden Händen haltend, trottete Jack in einem leichten Laufschritt daher wie ein Infanterist auf einem Schlachtfeld. Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Landstraße bereits geräumt sein würde, und kam daher viel schneller voran als erwartet. Bei jedem Schritt bog er die Zehen. Trotz der zwei Paar dicker Socken und der isolierten Stiefel waren seine Füße kalt und wurden immer kälter. Er mußte darauf achten, daß sie nicht erfroren. Das
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