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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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einer Kirche mit Buntglasfenstern zu befinden. In dem dunklen Wohnzimmer links von ihm, in das kein Licht von außen drang, weil die Vorhänge zugezogen waren, schepperten und klapperten auf dem Tisch Briefbeschwerer aus Kristallglas und anderer Nippes. Porzellan vibrierte auf den Glasböden einer Vitrine. Rechts von ihm, in dem von Regalen gesäumten Arbeitszimmer, sprang das Schreibtischset, das immerhin aus Marmor und Messing bestand, auf der Unterlage auf und ab, eine Schublade mit Kugelschreibern schnappte im Einklang mit den Druckwellen auf und zu, und der große Ledersessel hinter dem Schreibtisch wackelte so heftig, daß seine Rollen ächzten. Als Eduardo die Haustür öffnete, flogen die meisten Farbpunkte, und -speere davon, verschwanden wie in eine andere Dimension, und die restlichen flohen auf die rechte Dielenwand, wo sie sich zu einem vibrierenden Mosaik zusammenfügten. Der Wald leuchtete genau wie damals, im letzten Monat. Das bernsteinfarbene Glühen ging von derselben Gruppe dicht beieinander stehender Bäume und dem Boden darunter aus, als wären die immergrünen Nadeln und Zapfen, die Rinde und Erde, die Steine und der Schnee weißglühende Bestandteile einer Lampe, die hell leuchteten, ohne verzehrt zu werden. Diesmal war das Licht betörender als zuvor, genau wie das Pochen lauter und die Druckwellen stärker waren. Er fand sich am Fuß der Treppe wieder, konnte sich aber nicht erinnern, das Haus verlassen oder die Veranda überquert zu haben. Er sah zurück und stellte fest, daß er die Haustür hinter sich zugezogen hatte. Vielleicht dreißig tiefe Tonwellen pro Minute pochten durch die Nacht, doch sein Herz schlug sechsmal schneller. Er wollte sich umdrehen und ins Haus zurücklaufen. Er sah auf die Pistole in seiner Hand hinab. Er wünschte, die Schrotflinte hätte geladen neben seinem Bett gelegen. Als er den Kopf hob und den Blick von der Waffe nahm, stellte er überrascht fest, daß der Wald sich ihm genähert hatte. Die leuchtenden Bäume türmten sich über ihm auf. Dann begriff er, daß er, und nicht der Wald, sich bewegt hatte. Er warf erneut einen Blick zurück und sah, daß sich das Haus zehn, zwölf Meter hinter ihm befand. Er war die Treppe hinabgestiegen, ohne es mitzubekommen. Im Schnee waren seine Spuren auszumachen.
    »Nein«, sagte er mit zitternder Stimme. Das anschwellende Geräusch war wie eine Brandung mit einem Sog, der ihn gnadenlos von der Sicherheit des Ufers fortzog. Das wehklagende elektronische Heulen kam ihm wie das Lied einer Sirene vor; es durchdrang ihn, sprach ihn auf einer so tiefen Ebene an, daß er die Nachricht zu verstehen schien, ohne die Worte zu hören, eine Musik in seinem Blut, die ihn zu dem kalten Feuer im Wald lockte. Seine Gedanken zerfaserten. Er blickte zum Sternenhimmel empor und versuchte, seinen Kopf klar zu bekommen. Ein zartes Flitterwerk von Wolken leuchtete vor dem schwarzen Gewölbe; es wurde vom silbernen Licht der Mondsichel erhellt. Er schloß die Augen. Fand die Kraft, dem Sog der Tonwellen zu widerstehen. Doch als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, daß er sich diesen Widerstand nur eingebildet hatte. Er war den Bäumen näher als zuvor, nur zehn Meter vom Waldrand entfernt, so nah, daß er die Augen gegen die blendende Helligkeit zusammenkneifen mußte, die von den Zweigen, den Stämmen und dem Boden unter den Kiefern ausging. Das trübe bernsteinfarbene Licht war nun von roten Fäden durchzogen, wie Blut in einem Eigelb. Eduardos Angst war in nacktes Entsetzen umgeschlagen. Er kämpfte gegen eine Schwäche in seinen Därmen und der Blase an und zitterte so heftig, daß es ihn nicht überrascht hätte zu hören, wie seine Knochen aneinander schlugen - doch sein Herz raste nicht mehr. Sein Schlag hatte sich drastisch verlangsamt und näherte sich nun den steten dreißig Schlägen pro Minute des pulsierenden Geräusches, das von jeder strahlenden Oberfläche auszugehen schien. Bei einem so langsamen Herzschlag, einer so verminderten Blutzufuhr zum Gehirn, hätte er sich eigentlich nicht auf den Füßen halten dürfen. Er hätte entweder das Bewußtsein verlieren oder in einen schweren Schockzustand gleiten müssen. Seine Wahrnehmungen mußten unzuverlässig sein. Vielleicht hatte das Pochen sich beschleunigt und dem Schlag seines hämmernden Herzens angepaßt. Seltsamerweise war er sich nicht mehr der kalten Luft bewußt. Doch keine Wärme ging mit dem rätselhaften Licht einher. Ihm war weder warm noch kalt. Er spürte

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