Wintermond
nicht mehr jeder sich senkenden Dämmerung mit stillem Entsetzen entgegen. Er hätte sein Gleichgewicht vielleicht schneller zurückgewonnen, hätte er mehr Arbeit gehabt, die ihn auf Trab halten konnte. Das rauhe Wetter verhinderte, daß er routinemäßige Reparaturen auf der Ranch ausführen konnte; mit elektrischem Strom und genug Feuerholz für die Kamine hatte er in den Wintermonaten kaum mehr zu tun, als herumzulungern und auf den Frühling zu warten. Seit er sich um die Ranch kümmerte, war auf ihr nie viel zu tun gewesen. Vor vierunddreißig Jahren waren er und Margarite von Stanley Quartermass eingestellt worden, einem wohlhabenden Filmproduzenten, der sich in Montana verliebt hatte und hier einen zweiten Wohnsitz haben wollte. Hier wurde gewerbsmäßig weder Ackerbau noch Viehzucht betrieben; die Ranch war lediglich ein abgeschiedener Zufluchtsort. Quartermass liebte Pferde, und so hatte er hundert Meter rechts vom Haus einen bequemen, geheizten Stall mit zehn Boxen bauen lassen. Er verbrachte etwa zwei Monate pro Jahr auf der Ranch - verteilt auf mehrere Besuche von einer bis zwei Wochen -, und es war Eduardos Pflicht gewesen, während der Abwesenheit des Produzenten dafür zu sorgen, daß die Pferde erstklassige Pflege und genug körperliche Bewegung erhielten. Sein Job hatte hauptsächlich darin bestanden, sich um die Tiere zu kümmern und den Besitz in gutem Zustand zu halten, während Margarite die Haushälterin gewesen war. Bis vor acht Jahren hatten Eduardo und Margarite in dem behaglichen, wenn auch kleinen einstöckigen Gebäude des Hausmeisters gewohnt. Dieses Steinhaus befand sich achtzig oder neunzig Meter rechts von - und, wie es sich geziemt, hinter - dem Haupthaus, ganz in der Nähe der ersten Kiefern am Waldrand. Tommy, ihr einziges Kind, war dort aufgewachsen, bis er achtzehn Jahre alt geworden war und das Stadtleben seine fatale Anziehungskraft auch auf ihn auszuüben begann. Als Stanley Quartermass beim Absturz seines Privatflugzeugs umgekommen war, hatten Eduardo und Margarite überrascht erfahren, daß er ihnen die Ranch und ausreichende Geldmittel hinterlassen hatte, sich sofort zur Ruhe zu setzen. Der Produzent hatte seine vier Exfrauen noch zu Lebzeiten finanziell abgefunden und mit keiner davon Kinder gezeugt, so daß er den größeren Teil seines Nachlasses einsetzte, gewisse wichtige Angestellte großzügig zu bedenken. Sie hatten die Pferde verkauft, das Nebengebäude geschlossen und waren in das im viktorianischen Stil errichtete Haupthaus mit seinen Giebeln, dekorativen Schlagläden, ausgebogenen Dachrinnen und breiten Veranden gezogen. Es war seltsam, plötzlich wohlhabend zu sein, doch diese Sicherheit war nicht unwillkommen, auch wenn sie so spät in ihr Leben kam. Nun war Eduardo ein verwitweter Rentner mit genug Sicherheit, aber zu wenig Arbeit, die ihn beschäftigt halten konnte. Und mit zu vielen seltsamen Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Leuchtende Bäume...
Im März fuhr er mit seinem Jeep Cherokee dreimal nach Eagle's Roost, der nächsten Stadt. Er aß in Jasper's Diner, weil ihm dort das Salisbury-Steak, die Pommes frites und der Krautsalat schmeckten. In der High Planin Pharmacy kaufte er Zeitschriften und ein paar Taschenbücher und im einzigen Supermarkt Lebensmittel. Seine Ranch lag nur fünfundzwanzig Kilometer von Eagle's Roost entfernt, so daß er jeden Tag dorthin fahren könnte, wenn er wollte, doch dreimal pro Monat genügte normalerweise. Die Stadt war klein, drei- bis viertausend Seelen; doch selbst in ihrer Abgeschiedenheit war sie zu sehr ein Teil der modernen Welt, um jemandem zu gefallen, der sich so sehr an den ländlichen Frieden gewöhnt hatte, wie es bei ihm der Fall war. Bei jeder dieser Einkaufsfahrten hatte er überlegt, bei der Zweigstelle des Bezirkssheriffs anzuhalten und den seltsamen Lärm und die ungewöhnlichen Lichter im Wald zu melden. Doch er war überzeugt, daß der Hilfssheriff ihn lediglich für einen alten Narren halten und nichts weiter unternehmen würde, als den Bericht in dem Aktenordner mit der Aufschrift VERRÜCKTE abzulegen. In der dritten Märzwoche war der offizielle Frühlingsanfang, und am folgenden Tag fielen bei einem Sturm zwanzig Zentimeter Neuschnee. Der Winter gab hier an den östlichen Hängen der Rockies nicht so schnell auf. Er unternahm täglich Spaziergänge, wie es schon sein ganzes Leben lang seine Gewohnheit war, blieb aber auf dem langen Fahrweg zum Haus, den er nach jedem Schneefall selbst
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