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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Donner...
    Schwärze.
    Stille.
    Kälte.
    Als er erwachte, lag er im Licht der Mondsichel am Waldrand. Über ihm erhoben sich die Bäume wachsam, dunkel und still. Er war wieder im Besitz all seiner Sinne. Er roch die ozonartige Frische des Schnees, die dichte Masse der Kiefern, seinen eigenen Schweiß - und Urin. Er hatte die Herrschaft über seine Blase verloren. Der Geschmack in seinem Mund war unangenehm, aber vertraut: Blut. Als er gestürzt war, mußte er sich in seinem Entsetzen auf die Zunge gebissen haben. Anscheinend war die Tür in dieser Nacht nicht geöffnet worden.

ACHTES KAPITEL
    In derselben Nacht holte Eduardo die Waffen aus dem Schrank im Arbeitszimmer und lud sie wieder durch. Er verteilte sie so im Haus, daß die eine oder andere Feuerwaffe immer greifbar sein würde. Am folgenden Morgen, dem des vierten April, fuhr er nach Eagle's Roost, aber nicht zur örtlichen Zweigstelle des Sheriffs. Er hatte noch immer keine Beweise für seine Geschichte. Statt dessen fuhr er zu Custer's Appliance. Das Geschäft befand sich in einem gelben Backsteingebäude aus den zwanziger Jahren, und die glitzernde High Tech in seinem Schaufenster war so anachronistisch wie Tennisschuhe an einem Neandertaler. Eduardo kaufte einen Videorecorder, eine Videokamera und ein halbes Dutzend Leerkassetten. Der Verkäufer war ein langhaariger junger Mann, der aussah wie Mozart. Er trug Stiefel, Jeans, ein dekorativ besticktes Cowboyhemd und eine schmale Krawatte mit einer Türkisspange. Er plapperte unaufhörlich über die Vielzahl der Einsatzmöglichkeiten der angebotenen Ware und benutzte dabei so viele Fachbegriffe, daß er sich einer Fremdsprache zu befleißigen schien. Eduardo wollte lediglich aufzeichnen und die Aufzeichnung abspielen. Sonst nichts. Es war ihm gleichgültig, ob er den einen Sender sehen konnte, während er den anderen aufnahm, oder ob die verdammten Dinger sein Abendessen kochen, sein Bett machen und ihm eine Pediküre verabreichen konnten. Die Ranch war bereits mit einem Fernsehgerät ausgestattet, das zahlreiche Kanäle empfangen konnte, denn kurz vor seinem Tod hatte Mr. Quartermass hinter den Ställen eine Satellitenschüssel installieren lassen. Eduardo sah nur selten fern, vielleicht drei- oder viermal im Jahr, wußte aber, wie das Gerät funktionierte. Von dem Elektrogeschäft ging er zur Stadtbibliothek. Er trug einen Stapel von Romanen von Robert A. Heinlein und Arthur C. Clarke und Kurzgeschichtensammlungen von H. P Lovecraft, Algernon Blackwood und M. R. James zusammen. Er wäre sich nicht törichter vorgekommen, hätte er schreiendbunten Quatsch ausgeliehen, der sich als populärwissenschaftliche Literatur über den Abscheulichen Schneemenschen, das Ungeheuer von Loch Ness, den Verlorenen Kontinent Atlantis, das Bermuda-Dreieck und die wahre Geschichte von Elvis Presleys vorgetäuschtem Tod und seiner Geschlechtsumwandlung ausgab. Er rechnete damit, daß die Bibliothekarin höhnisch grinsen oder ihn zumindest mit einem bemitleidenden und herablassenden Lächeln bedenken würde, doch sie trug die Bücher ein, als würde sie nicht den geringsten Anstoß an seinem Literaturgeschmack nehmen. Nachdem er auch im Supermarkt vorbeigeschaut hatte, kehrte er zur Ranch zurück und packte seine Einkäufe aus. Er brauchte zwei volle Tage und mehr Bier, als er sich normalerweise genehmigt hätte, um das Videosystem in Gang zu bringen. Die verdammten Geräte hatten mehr Knöpfe, Schalter und Skalen als ein Flugzeugcockpit, und manchmal hatte er den Eindruck, daß die Hersteller ihre Produkte völlig grundlos, aus schierer Liebe zur Komplikation, so kompliziert wie möglich gemacht hatten. Die Gebrauchsanweisungen lasen sich, als wären sie von jemandem verfaßt, für den Englisch eine Fremdsprache war - was höchstwahrscheinlich auch zutraf, da sowohl der Videorecorder als auch die Kamera aus Japan stammten.
    »Entweder ich werde senil«, knurrte er in einem Anfall von Frustration, »oder die Welt geht endgültig vor die Hunde.« Vielleicht auch beides. Es wurde früher als üblich wärmer. Der April war auf diesem Längengrad und in dieser Höhe oft ein Wintermonat, aber in diesem Jahr stiegen die Temperaturen am Tag auf fünf Grad. Der Schnee, der sich eine Jahreszeit lang angesammelt hatte, schmolz, und gurgelnde Bächlein füllten jeden Gully und Abhang. Die Nächte blieben ruhig. Eduardo Fernandez las die meisten Bücher, die er sich geliehen hatte. Blackwood und besonders James schrieben in einem Stil,

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