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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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die Erde unter seinen Füßen nicht mehr. Kein Gefühl der Schwerkraft, seines Gewichts oder der Ermüdung seiner Muskulatur. Er hätte genausogut schweben können. Die Gerüche des Winters waren nicht mehr wahrnehmbar. Der schwache, frische, ozonähnliche Geruch des Schnees war verschwunden. Genau wie der frische Duft des Kiefernwaldes, der sich direkt vor ihm erhob. Und wie der schwache, säuerliche Gestank seines eigenen kalten Schweißes. Kein Geschmack auf der Zunge. Das war am unheimlichsten. Er hatte nie zuvor bemerkt, daß es immer eine endlose und sich leicht verändernde Reihe von Geschmacksnoten in seinem Mund gab, selbst wenn er gerade nichts aß. Nun war da nur Milde. Weder süß noch sauer. Weder salzig noch bitter. Nicht einmal Milde. Noch weniger. Nichts. Nada. Er sog die Wangen ein, spürte, wie der Speichel floß, schmeckte aber nichts. All seine Wahrnehmungsfähigkeiten schienen sich einzig und allein auf das geisterhafte Licht zu konzentrieren, das aus den Bäumen leuchtete, und auf das strafende, beharrliche Geräusch. Er fühlte nicht mehr den pochenden Baß, der kalte Wellen über seinen Körper spülte; statt dessen erklang dieses Geräusch nun in ihm, und es strömte auf dieselbe Weise aus ihm hinaus wie aus den Bäumen. Plötzlich stand er am Waldrand, auf einem Boden, der genauso ausstrahlte wie geschmolzene Lava. Innerhalb des Phänomens. Als er den Kopf senkte, sah er, daß seine Füße auf einer Glasplatte zu stehen schienen, unter der ein Feuersee brodelte, ein See, der so tief war, wie die Sterne hoch am Himmel standen. Die Ausdehnung dieses Abgrunds ließ ihn vor Panik aufschreien, doch nicht das leiseste Flüstern kam über seine Lippen. Angstlich und zögernd, aber gleichzeitig auch staunend, betrachtete Eduardo seine Beine und seinen Körper und sah, daß das bernsteinfarbene Licht auch aus ihm strahlte und von roten Ausbrüchen durchzogen war. Er schien ein Wesen von einer anderen Welt zu sein, mit einer fremden Energie erfüllt, oder ein heiliger indianischer Geist, der aus den hohen Bergen gekommen war, um nach den uralten Nationen zu suchen, die die gewaltige Wildnis Montanas einst beherrscht hatten, aber schon lange untergegangen waren: Schwarzfüße, Krähen, Sioux, Assiniboin, Cheyenne. Er hob die linke Hand, um sie genauer zu untersuchen. Seine Haut war durchsichtig, und das Fleisch darunter auch. Zuerst konnte er die Knochen seiner Hand und Finger sehen, deutlich gegliederte graurote Formen in der geschmolzenen bernsteinfarbenen Substanz, aus der er zu bestehen schien. Doch noch während er sie betrachtete, wurden auch seine Knochen durchsichtig, und er wurde vollständig zu einem gläsernen Menschen, hatte nicht die geringste Substanz mehr; er war zu einem Fenster geworden, durch das man ein überirdisches Feuer sehen konnte, genau, wie der Boden unter ihm ein Fenster war, und die Steine und die Bäume Fenster waren. Die krachenden Tonwellen und das elektronische Piepsen erhoben sich, beharrlicher denn je zuvor, aus diesen Feuerströmen. Wie in jener Nacht im März hatte er eine fast hellseherische Wahrnehmung von etwas, das sich gegen eine Beschränkung warf, versuchte, aus einem Gefängnis auszubrechen oder eine Barriere zu durchstoßen. Etwas, das versuchte, mit Gewalt eine Tür zu öffnen. Er stand in einem seltsamen Eingang. Auf der Schwelle. Die bizarre Überzeugung überkam ihn, daß er in unverbundene Atome zerschmettert werden würde, als hätte er niemals existiert, falls er in dem Augenblick, da diese Tür sich öffnete, im Weg stand. Er würde zu der Tür werden. Ein unbekannter Besucher würde durch ihn eintreten, aus dem Feuer und durch ihn hindurch. Lieber Gott, hilf mir, betete er, obwohl er nicht religiös war. Er versuchte, sich zu bewegen. Gelähmt. In seiner gehobenen Hand, in seinem gesamten Körper, in den Bäumen und Steinen und der Erde, war das Feuer nun weniger bernsteinfarben, dafür aber um so heißer, tiefrot, scharlachrot, kochendheiß. Abrupt wurde es von blauweißen Adern durchzogen und enthüllte die alles verzehrende Helligkeit im Herzen eines Sterns. Das feindselige Pulsieren schwoll an, explodierte, schwoll an, explodierte, wie das Stoßen riesiger Kolben, es dröhnte, dröhnte fürchterlich, Kolben in den ewigen Maschinen, die das Universum selbst betrieben, härter, immer härter, der Druck nahm zu, sein Glaskörper vibrierte, dehnte sich aus, fordernd, hämmernd, Feuer und Donner, Feuer und Donner, Feuer und

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