Wintermond
drängen, einem ohne ausdrückliche Anweisung des Arztes eine Heroinspritze zu geben, und darf nie einen Herzanfall vortäuschen, nur um auf sich aufmerksam zu machen.«
»Sie sagen, du wärest so nett, tapfer und witzig.«
»Ist doch Quatsch!« sagte er mit übertriebener Scheu, aber er war wirklich peinlich berührt.
»Ein paar Schwestern haben mir gesagt, wie glücklich ich mich schätzen könnte, mit dir verheiratet zu sein.«
»Hast du sie verprügelt?«
»Es gelang mir gerade noch, mich zu beherrschen.«
»Gut. Sonst hätte ich drunter leiden müssen.«
»Ich kann wirklich von Glück reden«, sagte sie.
»Und einige dieser Schwestern sind ziemlich stark und haben einen verdammt harten rechten Haken«
»Ich liebe dich Jack«, sagte sie, beugte sich über das Bett und küßte ihn auf den Mund. Der Kuß verschlug ihm den Atem. Ihr Haar fiel über sein Gesicht; es roch nach Zitronenshampoo.
»Heather«, sagte er leise und legte eine Hand auf ihre Wange. »Heather, Heather.« Er wiederholte den Namen, als sei er ihm heilig, und das war er auch, nicht nur ein Name, sondern ein Gebet, das ihm Kraft gab. Der Name und ihr Gesicht machten seine Nächte weniger dunkel, ließen seine schmerzerfüllten Tage schneller vergehen. »Ich schätze mich so glücklich«, wiederholte sie.
»Ich auch. Daß ich dich gefunden habe.«
»Du wirst bald wieder bei mir zu Hause sein.«
»Bald«, sagte er, obwohl er wußte, daß er noch wochenlang in diesem Bett liegen und weitere Wochen in einer Reha-Klinik sein würde. »Keine einsamen Nächte mehr«, sagte sie.
»Keine einsamen Nächte.«
»Immer zusammen.«
»Immer.« Seine Kehle war wie zugeschnürt, und er befürchtete, gleich weinen zu müssen. Er hätte sich der Tränen nicht geschämt,
war aber der Ansicht, daß sie es noch nicht wagen durften, jetzt schon zu weinen. Sie brauchten all ihre Kraft und Entschlossenheit für die Kämpfe, die noch vor ihnen lagen. Er schluckte heftig.
»Wenn ich nach Hause komme...«, flüsterte er.
»Ja?«
»Und wir wieder ins Bett gehen können...«
Ihr Gesicht war ganz nah vor dem seinen. »Ja?« flüsterte sie. »Tust du dann etwas ganz Besonderes für mich?«
»Natürlich, du Dummerchen.«
»Ziehst du dann eine Krankenschwesterntracht an? Das macht mich wirklich an.«
Sie blinzelte kurz vor Überraschung, brach dann in Gelächter aus und stieß ihm den kalten Schwamm ins Gesicht. »Du Biest.«
»Tja, und wie wäre es mit einer Nonnentracht?«
»Du Perverser.«
»Oder mit einer Pfadfinderinnenuniform?«
»Aber ein netter, tapferer und witziger Perverser.«
Ohne seinen Humor hätte er es auch nicht ertragen, Polizist zu sein. Humor, manchmal auch schwarzer Humor, war ein Schild, der es ihm ermöglichte, ohne sich dabei dreckig zu machen, durch den Schmutz und den Wahnsinn zu waten, in denen die meisten Cops heutzutage arbeiten mußten. Sein Humor trug auch zu seiner Genesung bei und verhinderte, daß er von Schmerz und Sorgen verzehrt wurde, obwohl er über eine Sache nur schwer lachen konnte - seine Hilflosigkeit. Es war ihm peinlich, daß man ihm bei den grundlegenden Körperfunktionen helfen mußte und daß er sich regelmäßig Einläufen zu unterziehen hatte, um die Folgen der extremen Untätigkeit in den Griff zu bekommen. Von Woche zu Woche wurde ihm der Mangel an Privatsphäre immer peinlicher, womit er eigentlich nicht gerechnet hatte. Noch schlimmer war es, in dem starren Zugriff des Gipses ans Bett gefesselt zu sein, nicht gehen oder auch nur kriechen zu können, sollte es plötzlich zu einer Katastrophe kommen. Gelegentlich stellte sich bei ihm die fixe Idee ein, das Krankenhaus würde durch einen Brand oder ein Erdbeben zerstört werden. Obwohl er wußte, daß das Personal für solche Notfälle gut ausgebildet war und man ihn nicht den Flammen oder dem tödlichen Gewicht der zusammenbrechenden Wände überlassen würde, befiel ihn gelegentlich eine irrationale Panik, oft mitten in der Nacht, ein blinder Schrecken, der ihm die Brust Stunde um Stunde enger zuschnürte und nur allmählich der Vernunft oder Erschöpfung wich. Mitte Mai hatte er eine tiefe Anerkennung und grenzenlose Bewunderung für Querschnittgelähmte entwickelt, die sich vom Leben nicht unterkriegen ließen. Er konnte zumindest Arme und Hände benutzen und Gymnastik machen, indem er Gummibälle zusammendrückte und leichte Gewichte hob. Er konnte seine Stirn kratzen, wenn sie juckte, bis zu einem gewissen Ausmaß
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