Wintermond
Gemüsezwiebel. Auch die verschließbaren Behälter warf er weg: eine Butterdose mit Plastikdeckel, Töpfe mit eingelegten Gurken, Oliven, Maraschinokirschen, Mayonnaise, Senf und noch einiges mehr; Gläser mit Drehverschlüssen - Salatdressing, Sojasoße, Ketchup. Eine geöffnete Büchse Rosinen, eine geöffnete Milchtüte. Der Gedanke, daß etwas seine Lippen berühren könnte, das zuvor von dem Eindringling berührt worden war, ließ ihn würgen und erschaudern. Als er mit dem Kühlschrank fertig war, enthielt er kaum mehr als noch verschlossene Limodosen und Bierflaschen. Aber schließlich hatte er es hier mit einer Kontamination zu tun. Da konnte man nicht vorsichtig genug sein. Keine Maßnahme war zu überzogen. Und es handelte sich nicht nur um eine bakterielle Verseuchung. Wenn es doch nur so einfach wäre. Großer Gott, wäre es doch nur so einfach. Eine geistige Verseuchung. Eine Dunkelheit, die sich im Herzen ausbreiten und tief in die Seele sickern konnte. Denke nicht einmal daran. Nicht daran denken. Nein. Zu müde, um zu denken. Zu alt, um zu denken. Zu erschöpft. Aus der Garage holte er eine blaue Kühltasche, in die er den gesamten Inhalt des Tiefkühlfachs umfüllte. Er legte acht Flaschen Bier in das Eis und steckte einen Flaschenöffner ein. Er ließ alle Lampen im Haus eingeschaltet und ging mit der Kühltasche und der Schrotflinte nach oben ins hintere Schlafzimmer, in dem er seit drei Jahren schlief. Er stellte das Bier und das Gewehr neben das Bett. Die Schlafzimmertür war nur mit einem primitiven Schloß gesichert. Ein kräftiger Tritt genügte, um sie aufzubrechen, und so stellte er einen Stuhl unter die Klinke und klemmte ihn fest. Denk nicht darüber nach, was durch die Tür kommen könnte. Stelle deine Gedanken ab. Konzentriere dich auf die Arthritis, die schmerzenden Muskeln, den überanstrengten Nacken. Sollen die Schmerzen alle anderen Gedanken ausstreichen. Er ging unter die Dusche, schrubbte sich genauso gründlich ab wie die verschmutzten Teile des Hauses. Er hörte erst auf, als der Heißwasservorrat erschöpft war. Er zog sich an, aber nicht fürs Bett. Socken, lange Unterhosen, ein T-Shirt. Er stellte seine Stiefel neben die Schrotflinte ans Bett. Obwohl die Uhr auf dem Nachttisch und seine Armbanduhr übereinstimmend zehn vor drei anzeigten, war Eduardo nicht müde. Er setzte sich auf das Bett, lehnte sich gegen einen Stapel Kissen und das Kopfbett. Mit der Fernbedienung schaltete er das Fernsehgerät ein und zappte durch anscheinend unendlich zahlreiche Kanäle, welche die Satellitenschüssel hinter den Ställen empfing. Schließlich verharrte er bei einem Actionfilm, Cops gegen Drogenhändler, jede Menge Verfolgungsjagden mit Autos und zu Fuß, Stunts und Schießereien, Prügeleien und Explosionen. Er schaltete den Ton ab, weil er hören wollte, wenn sich irgendwo im Haus etwas regte. Er trank die erste Flasche Bier ziemlich schnell aus und starrte dabei auf den Bildschirm. Er versuchte nicht, der Handlung des Films zu folgen, ließ sich einfach vom abstrusen Strudel der Bewegungen und dem hellen Gekräusel der schnell wechselnden Farben mitziehen. Schrubbte an den dunklen Flecken seiner eigenen schrecklichen Gedanken. An diesen hartnäckigen Flecken. Etwas schlug gegen das linke Fenster. Er schaute zu den Vorhängen hinüber, die er zugezogen hatte. Noch ein Klopfen. Als hätte jemand einen kleinen Stein gegen das Glas geworfen. Sein Herz begann zu hämmern.
Eduardo Fernandez zwang sich, wieder zum Fernsehgerät zu sehen. Bewegungen. Farben. Er trank das Bier aus und öffnete eine zweite Flasche. Klopf. Und noch einmal, fast gleichzeitig. Klopf. Vielleicht war es nur eine Motte oder ein anderes Insekt, das versuchte, zu dem Licht zu gelangen, das die zugezogenen Vorhänge nicht ganz verbergen konnten. Er konnte aufstehen, zum Fenster gehen, feststellen, daß nur ein Insekt gegen das Glas schlug, und sich erleichtert wieder aufs Bett setzen. Lieber nicht! Denke nicht einmal darüber nach. Er trank einen großen Schluck vom zweiten Bier.
Klopf.
Etwas stand draußen auf dem dunklen Rasen, sah zu dem Fenster hinauf. Etwas, das genau wußte, wo er war, und das mit ihm in Kontakt treten wollte. Aber diesmal war es kein Waschbär. Nein, nein, nein. Diesmal kein süßes, pelziges Gesicht mit einer schwarzen Maske. Kein schönes Fell, kein mit schwarzen Ringen gemusterter Schwanz. Bewegung, Farbe, Bier. Wisch die verseuchten Gedanken weg, beseitige die Kontamination.
Klopf.
Wenn
Weitere Kostenlose Bücher