Wintermond (German Edition)
und widerlich. Er brauchte erst einmal Zeit und vor allem Schlaf, um auszunüchtern und einen klaren Kopf zu bekommen. Am nächsten Tag würde er noch genug Zeit dafür haben, sich mit seinem - ausgenommen der Schulden - aktuell größten Problem auseinanderzusetzen. Da er allerdings keinen Schlafplatz mehr hatte und die Nacht nicht in einem heruntergekommenen Hotel verbringen wollte, entschied er sich letztendlich dafür, sich ein Taxi zu rufen, um zurück zur Villa gebracht zu werden. Dort würde er erst einmal duschen gehen, dann ein großes Glas Wasser trinken, vorbeugend ein paar Aspirin schlucken und sich schließlich schlafen legen. Bis zum nächsten Morgen würde er dann hoffentlich wieder zur Vernunft gekommen sein und zu der Erkenntnis gelangen, nicht schwul zu sein.
Also griff er in seine Hosentasche und zog sein Handy hervor.
Ich bin nicht schwul , dachte er noch, bevor er die Nummer der Taxizentrale eintippte.
Kapitel 17
Ben befand sich noch im Halbschlaf und wälzte sich dabei unentwegt von einer auf die andere Seite. Er war kurz vorm Aufwachen, wollte allerdings viel lieber weiterschlafen. Deshalb versuchte er den Tagesbeginn noch etwas hinauszuzögern.
Wirre Erinnerungen an den gestrigen Tag durchzogen seinen Kopf und wiederholten sich dabei wie eine Dauerschleife. Zwei verschiedene Gedankenzüge wechselten sich dabei andauernd untereinander ab: Zum einen der an die Schachpartie mit Jo, die ihm mittlerweile entfernter vorkam, als sie es war, und zum anderen die Erinnerung an den Kuss mit Alex. Dieser sich ständig wiederholende Gedankenkreislauf machte ihn halb wahnsinnig, denn sobald er sich detaillierter mit einem der beiden Rückblicke befassen wollte, rückte schon wieder der andere von ihnen in den Vordergrund.
Schließlich gab er auf und öffnete seine Augen. Zunächst einmal starrte er an die Zimmerdecke und versuchte währenddessen den restlichen Schlaf aus seinen Gliedern zu jagen. Dann stöhnte er erschöpft auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Er fühlte sich völlig gerädert. Am Vorabend war er erst recht spät ins Bett gegangen und hatte im Endeffekt nur wenig Schlaf gefunden. Aktuell gab es definitiv zu viele Dinge, die ihn beschäftigten und nicht zur Ruhe kommen ließen. Hinzu kam, dass er der Typ Mensch war, der sich in solch einer Verfassung nicht einfach hinlegen und all seine Sorgen verdrängen konnte. Dementsprechend lag es in seiner Natur, sich den Kopf über alles Mögliche zu zermartern - sowohl tagsüber als auch nachts.
Seine Bettdecke war durch das ganze Gewühle völlig zerknittert und schützte nur noch einen geringen Teil seines Unterleibs vor Kälte. Die wesentlich größere Hälfte hing über dem Bettrand und hatte bereits den Fußboden erreicht. Ben streckte seinen Arm aus und zog sie etwas mühselig zurück auf seinen Körper. Er hatte noch immer keine Lust aufzustehen und gleichzeitig jegliches Zeitgefühl verloren. Also griff er zum Nachtschrank, tastete nach seinem Handy und hielt es sich schließlich vor seine noch müden Augen. Dann erschrak er und richtete sich rasch zu einer sitzenden Position auf. Der Grund für seine Reaktion war, dass die digitale Uhr auf dem schwach beleuchteten Display anzeigte, dass es bereits nach zwölf war.
Eigentlich war Ben kein Langschläfer und hasste es, spät aufzustehen. Er war nämlich jemand, der tagsüber möglichst viel schaffen wollte und empfand zu langes Schlafen deshalb als reinste Zeitverschwendung. So, wie auch jetzt. In der verschlafenen Zeit hätte er normalerweise schon längst gefrühstückt, geduscht und seinen morgendlichen Sport getrieben. Doch nun war die bessere Hälfte des Tages bereits verschenkt, was ihm schon unmittelbar nach dem Aufstehen recht miese Laune bereitete.
Er legte sein Handy zurück auf den Nachtschrank, stand auf, zog die Vorhänge zur Seite und riss eines der beiden Fenster auf. Dann wollte er erst einmal ins Badezimmer gehen und schritt deshalb zur Tür. Als er jedoch plötzlich das Rauschen eines startenden Motors vernahm und gleich darauf das knatschende Geräusch von Autoreifen, die fest in den Schnee einschlugen, kehrte er noch einmal zum Fenster zurück und spähte nach draußen. Hingegen all seiner Erwartungen entdeckte er allerdings nicht Alex’ schwarzen BMW, sondern stattdessen das silberne Modell Jos, wie es langsam und geschmeidig aus der Einfahrt rollte.
Ben atmete tief durch und entfernte sich gleich darauf wieder von der Fensterbank. Er konnte sich
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