Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermond (German Edition)

Wintermond (German Edition)

Titel: Wintermond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
Vom Netzwerk:
gar nicht daran erinnern, dass Jo erwähnt hatte, am heutigen Tag wegzufahren. Doch war es ihm nur allzu recht, denn so konnte er den verpassten Morgen verspätet nachholen und brauchte seinen völlig überfüllten Kopf nicht noch zusätzlich mit Arbeit und sinnlosen Gesprächen mit Jo zu belasten.
    Der Luftaustausch in seinem Zimmer schien binnen weniger Minuten stattgefunden zu haben, denn schon bald umhüllte ihn nur noch die angenehm kühle Winterluft, die eine Gänsehaut auf seinen Körper legte. Genau dieses Gefühl des plötzlichen Auskühlens war eigentlich recht fies, doch Ben liebte es. Für ihn gab es keinen besseren Wachmacher als frische Luft, was mitunter auch ein Grund seiner täglichen Joggingrunden war.
    Doch jetzt wollte er erst einmal ins Bad, um sich dort frisch zu machen.
    Da Alex bereits am Vorabend weggefahren und bislang offensichtlich nicht wieder gekommen war und auch Jo sich gerade von der Villa entfernt hatte, schien Ben sturmfrei zu haben. Deshalb fühlte er sich ausnahmsweise mal wie zu Hause und spazierte nur in Boxershorts bekleidet durch den langen Flur der oberen Etage. Er spürte den kalten Marmor unter seinen Füßen und begann sich allmählich sogar auf den kommenden Tag zu freuen. Dass er verschlafen hatte, spielte in jenem Moment keine Rolle mehr. Viel mehr freute er sich darauf, sich in den kommenden Stunden ausgiebig von den Strapazen der letzten Wochen erholen zu können. Unter anderem nahm er sich vor, die in der Nacht durchlebte Dauerschleife von chaotischen Gedanken zu durchbrechen und sich endlich einmal ausführlich mit all dem, was in den letzten Tagen passiert war, auseinanderzusetzen.
    Schon bald erreichte er die Badezimmertür, drückte die Klinke hinunter und trat ein. Er schloss die Tür hinter sich zu und blieb daraufhin erst einmal regungslos stehen. Nachdenklich blickte er sich um. Er betrachtete das Waschbecken, während augenblicklich Bilder von Alex durch seinen Kopf jagten, so stockend und lückenhaft wie ein imaginäres Daumenkino. Er erinnerte sich an den Kuss mit Alex. Ein Kribbeln begann sich dabei in seiner Magengegend auszudehnen, das sich zwar gut, aber auch etwas schlecht anfühlte. Es war vergleichbar mit dem aufregenden Kribbeln nach einer gelungenen Prüfung, das gleichzeitig von einem unangenehmen Brennen durchzogen wurde, weil man während der Prüfung gespickt hatte, dabei um ein Haar erwischt worden wäre und einem deshalb noch immer etwas Restangst im Nacken klebte.
    Für einen kurzen Moment schloss Ben seine Augen und versuchte sich zu sammeln. Als er sie dann nach wenigen Sekunden wieder aufschlug, endete sein visueller Rundgang am Waschbecken und damit an dem Ort, an welchem er sich einen runtergeholt hatte und dabei von Alex überrascht worden war. Bei diesem Gedanken begann das negative Gefühl in seinem Magen zu überwiegen. Er begann sich zu fragen, ob Alex’ Verhalten der letzten Tage wirklich auf übertriebene Intoleranz gegenüber Schwulen oder eher auf die Angst, ebenfalls schwul sein zu können, zurückzuführen war. Er war sich nicht ganz sicher und wusste auch, dass er in diesem Moment zu keinem Ergebnis kommen würde. Also verwarf er die sich selbst gestellte Frage schnellstmöglich wieder. Stattdessen versuchte er sich endlich von seinem Gedankenchaos abzulenken, indem er sich von der Tür entfernte und auf das besagte Waschbecken zutrat. Er griff nach seiner Zahnbürste, drückte etwas Zahnpasta darauf und putzte sich schließlich die Zähne. Der minzige Geschmack trug recht schnell dazu bei, dass er sich frischer, sauberer und noch ein bisschen wacher fühlte. Dann drehte er den Wasserhahn auf, beugte sich vor und befreite seinen Mund von dem weißen Schaum. Anschließend klatschte er sich noch eine Hand voll Wasser ins Gesicht und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Statt nach einem Handtuch zu greifen, blieb er jedoch bewegungslos stehen und begann sein Spiegelbild zu inspizieren. Sein Haaransatz war etwas nass geworden, weshalb das überschüssige Wasser über seine Stirn bis hin zu seinem Kinn lief, sich dort sammelte und letztendlich zu Boden tropfte.
    Ben betrachtete sein Spiegelbild nicht wie sich selbst, sondern mehr wie ein fremdes Abbild, das er in jenem Moment mit sich zu vergleichen versuchte. Seine braunen Augen fixierten ihn streng. Gedankenverloren neigte er sein Gesicht etwas zur Seite und wieder zurück. Dann hob er sein Kinn und musterte auch diese Perspektive so gründlich wie möglich.

Weitere Kostenlose Bücher