Wintermond (German Edition)
an hatte er erkannt, dass sich weitaus mehr hinter Alex’ Fassade verbarg und der Blonde sich lediglich hinter seinem miesen Charakter versteckte. Diese Vermutung hatte sich letztendlich auch bestätigt. Spätestens in dem Moment, in dem Sam getötet worden war und Alex weinend in seine Arme gesunken war. Auch Alex’ Streit mit Jo hatte vieles von Alex’ Innerem offenbart. Genug, um sich noch besser in dessen Lage versetzen zu können und sich noch etwas stärker zu verlieben.
Dann hatten sie sich geküsst. Es war atemberaubend gewesen, weil Ben keine Sekunde lang gewusst hatte, was als nächstes folgen würde. Noch immer kribbelte eine Spur des intensiven Gefühls, das der Kuss in ihm hervorgerufen hatte, in seinen Nervenbahnen. Er konnte Alex jedoch nicht einschätzen und wusste daher nicht, ob der Kuss ehrlich oder lediglich das Ergebnis purer Verzweiflung gewesen war. Er hoffte Ersteres, doch glaubte er nicht wirklich daran. Selbst wenn Alex plötzlich erkannt haben sollte, ebenfalls auf Männer zu stehen, würde er sich diese Tatsache niemals eingestehen und sich erst recht nicht in jemanden verlieben, den er eigentlich nicht leiden konnte. Für Alex schien Ben nicht mehr zu sein als eine nerviges Insekt. Ein Insekt, das mit etwas Glück in der Villa gelandet war und sich nun an dem Wissen seines Vaters bediente wie eine Fliege an herumstehendem Essen.
Noch immer betrachtete Ben sein Spiegelbild, blickte an seinem Körper herab und hob seine Hand. Er fuhr mit seinen Fingerspitzen über sein Schlüsselbein, seine Brust und seine Bauchmuskeln bis hinunter zu dem Bund seiner Boxershorts. Erst folgte er seiner Hand mit seinem Blick, dann schloss er seine Augen. Er dachte an Alex und die verschiedenen Situationen, in denen sie sich begegnet waren. Daran, wie Alex ihn zum Beginn des Praktikums gegen die Karosserie seines Wagens gedrückt hatte, daran wie Ben ihn in der Küche geküsst und gleich darauf einen Tritt in den Magen geerntet hatte und auch daran, wie Alex ihn während des Kusses im Bad von sich weggeschubst hatte und dabei seine dominante Ader hatte durchschimmern lassen.
Ben hielt seine Augen noch immer geschlossen und musste plötzlich grinsen. Alex hatte nicht nur dazu beigetragen, dass sich sein Charakter verändert hatte, sondern gleichzeitig eine sexuelle Vorliebe in ihm geweckt, von der er selbst bislang noch nichts gewusst hatte. Die Erkenntnis darüber fühlte sich fremd für ihn an und auf einer gewissen Ebene auch etwas pervers. Er konnte sie allerdings nicht länger leugnen und wollte es auch gar nicht. Er liebte das Spiel, das Alex mit ihm trieb, und erst recht die Art und Weise, wie der Blonde ihn behandelte. In seiner langjährigen Beziehung zu Nick hatte sexuell nie etwas Außergewöhnliches stattgefunden. Sie hatten viel Sex gehabt, dabei hatte mal er Nick und mal Nick ihn gefickt. Wesentlich mehr Abwechslung hatte es nie gegeben, denn in der ganzen Zeit hatte es weder einen Grund noch einen Anlass dafür gegeben. Doch jetzt hatte Ben eine neue Seite an sich entdeckt, die er sich zuvor niemals zugetraut hätte. Es war, als ob er Alex regelrecht vergötterte und es deshalb nicht unbedingt als schlimm empfand, von dem Blonden gedemütigt zu werden. Im Gegenteil. Alex’ Art, ihn brutal zu packen, zu beleidigen und zu schubsen, ihn grob anzufassen und gierig zu küssen und dabei fast durchgehend einen Blick aufzusetzen, der nur so vor Hass und Verachtung protzte, turnte ihn an. Allein die Vorstellung daran ließ seinen Körper Hormone ausschütten, die binnen Sekunden dafür sorgten, jegliches Blut in seinen Schritt zu pumpen und ihn aufzugeilen.
Ben grinste verschmitzt und war kurz davor, sich der in ihm aufkommenden Lust hinzugeben. Doch stattdessen riss er seine Augen wieder auf, nahm seine Hand herunter und seufzte.
Er hatte sich tatsächlich sehr verändert - in vielerlei Hinsicht. Bereuen tat er dies allerdings nicht. Das brauchte er auch nicht. Er musste sich vor niemandem verstellen oder rechtfertigen und konnte froh darüber sein, nicht so einen Vater wie Jo zu haben.
Erneut seufzte er, bevor er seinen Blick endlich vom Spiegel abwandte und zurück zur Tür ging. Er hatte genug nachgedacht und brauchte zum physischen Ausgleich dringend etwas Sport. Also nahm er sich vor, seine morgendliche Joggingrunde nachzuholen, sobald er etwas gefrühstückt hatte. Sein leerer Magen machte sich zunehmend bemerkbar und er hatte keine Lust, seinen geplanten Lauf aufgrund fehlender Energie
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