Wintermond (German Edition)
frühzeitig beenden zu müssen. Schließlich öffnete er die Badezimmertür und trat in den Flur. Dann überlegte er, ob er sich erst etwas überziehen oder direkt nach unten gehen sollte. Da sich zurzeit sowieso niemand außer ihm in der Villa befand, entschied er sich für Letzteres. Er durchquerte den Flur und schritt die Treppe herunter in das Erdgeschoss der Villa. Zunächst ging er in die Küche, holte sich ein Glas aus dem Schrank und schenkte sich etwas Mineralwasser ein. Auf dem dunklen Granittresen stand ein Brötchenkorb, der vermutlich von Jo stammte, direkt daneben klebte ein kleiner Notizzettel, auf dem in flüchtigen Worten geschrieben stand: „ Bin bei einem Geschäftsessen. Nimm dir für heute frei! Jo “
Gedankenverloren nickte Ben und zog ein goldbraunes Croissant aus der Mitte des Korbes. Er nahm sein Wasserglas und machte sich auf den Weg ins Wohn- und Esszimmer. Dort angekommen schritt er am Essbereich vorbei zur braunen Couch und ließ sich auf ihr nieder. Er trank einen Schluck aus seinem Glas und stellte es daraufhin vor sich auf dem gläsernen Couchtisch ab. Dann zupfte er ein Stück von seinem Croissant, steckte es in seinen Mund und begann sich kauend umzusehen. Er war nun schon recht lange in der Villa, kannte bislang jedoch jeden Raum besser als das Wohnzimmer. Auch hier zog sich Jos Einrichtungsstil fort, der Altmodisches mit Neuem kombinierte und dabei eine klassisch reiche Atmosphäre entstehen ließ.
Im hinteren Teil des Raumes entdeckte Ben eine alte Kommode, die offenbar überarbeitet und weiß lackiert worden war. Interessiert richtete er sich von der Couch auf und durchquerte das Wohnzimmer, um das antike Möbelstück genauer begutachten zu können. Die etwa einen Meter hohe Kommode sah sehr wertvoll aus. Das war sie vermutlich auch. Sie war gut erhalten und es war nur unschwer zu erkennen, welche handwerkliche Leistung hinter der Verarbeitung steckte. Die Füße der Kommode waren recht schnörkelig und verpassten dem alten Möbelstück das gewisse Etwas. Jede Schublade besaß zwei Griffe, die sich inmitten einer ins Holz geschnitzten Umrandung befanden. Zwischen den jeweiligen Knaufs befanden sich Schlüssellöcher. Die oberste Schublade war nach außen hin etwas gewölbt und sah dadurch einladender als die beiden unteren aus.
Ben spürte Neugierde in sich aufkommen. Zu gern hätte er gewusst, ob die drei Schubladen tatsächlich abgeschlossen waren und falls nicht, was sich in ihnen befand. Während er die Kommode betrachtete, biss er ein weiteres Mal in sein Croissant. Er wusste, dass es falsch war, in fremden Schränken zu wühlen und in der Privatsphäre anderer Leute herumzuschnüffeln. Doch die Kommode sah so interessant aus, dass er fest davon überzeugt war, dass die sich darin befindenden Dinge nicht weniger spannend sein würden. Nachdenklich kratzte er sich am Hinterkopf und blickte sich um. Weder Jo noch Alex waren da. Es gab also niemanden, der ihn bei solch einem unverschämten Akt erwischen könnte. Trotzdem zögerte er noch etwas. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, atmete tief durch, blickte ein weiteres Mal von links nach rechts und streckte schließlich seine Arme aus. Mit jeweils einer Hand umfasste er die zwei Griffe der oberen Schublade. Er verharrte noch einen letzten Moment, bevor er schließlich an der massiven Schublade zog und dabei spürte, wie sie sich nur schwergängig und etwas ruckelig in seine Richtung bewegte. Nachdem er die Schublade etwa halb weit geöffnet hatte, schloss er die letzte Lücke zwischen sich und dem Möbelstück und spähte neugierig in das Innere des geöffneten Faches. Zunächst einmal zog eine Spur von Enttäuschung durch sein Inneres. Die Spannungskurve war rapide abgesunken und endete mit dem Ergebnis, nichts sonderlich Reizvolles außer ein paar alten Fotoalben vorzufinden. Ben stöhnte gelangweilt auf. Er wollte die Schublade gerade wieder zuschieben, als ihm erst dann bewusst wurde, dass sein Fund eigentlich doch ganz interessant war. Nahezu übermütig steckte er seine Hand in das Fach und schob die dicken Fotoalben Stück für Stück zur Seite. Er suchte nach etwas ganz Bestimmten, las von jedem Album das Datum ab und durchforstete so beinahe den gesamten Inhalt der Schublade. Doch es schien einfach nichts Aktuelles zu geben. Die vielen Fotoalbum beinhalteten offenbar nur Fotos aus Jos Kindheit und der Zeit vor Alex’ Geburt. Doch Ben war wie vom Wahn getrieben, suchte hektisch weiter und hatte schließlich nur
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