Wintermond (German Edition)
einen Hauch von Unsicherheit wider. Offenbar wusste er nichts zu erwidern, weshalb er schließlich das Thema wechselte.
„Scheinst dich ja schon richtig heimisch hier zu fühlen“, sagte er und musterte Ben während dieser Aussage von oben bis unten.
Innerlich wäre Ben am liebsten im Erdboden versunken. Er schämte sich für seinen Auftritt, ließ sich nach außen hin allerdings nichts davon anmerken.
„So, wie du mich anstarrst, scheint’s dir ja zu gefallen“, gab er grinsend zurück.
Alex öffnete seinen Mund, schien dabei nach passenden Worten zu suchen, schloss ihn aber kurz darauf wieder. In jenem Moment wirkte der Blonde völlig untypisch. Im Normalfall hätte Ben spätestens jetzt verachtende Worte zu hören bekommen.
Ben tat lässig, stopfte sich das übrige Croissant in den Mund und schob sich an Alex vorbei Richtung Ausgang. Es war das erste Mal, dass die beiden sich mit etwas zeitlichem Abstand nach ihrem Kuss begegneten. Doch keiner der beiden schien sich darum zu kümmern, geschweige denn, sich etwas anmerken zu lassen. Eigentlich war die Begegnung wie jede andere und es hatte sogar fast den Anschein, als ob niemals etwas zwischen ihnen vorgefallen wäre. Lediglich Alex’ unübliche Art war etwas verdächtig.
Ben schritt zurück zum Couchtisch, nahm sein Glas und trank ein paar Schlucke. Er konnte Alex’ Blick förmlich auf sich spüren und begann es dabei sogar ein wenig zu genießen, den Blonden mit seinem durchtrainierten Körper zu reizen.
„Was machst du eigentlich schon hier?“, fragte er dann. „Wolltest du nicht woanders pennen? Oder wurdest du direkt am nächsten Morgen wieder von der Bettkante gestoßen?“
Er musste grinsen und war froh, dass Alex seine Mimik nicht sehen konnte. Gespannt wartete er auf eine Antwort, doch bekam er keine. Er trank sein Glas leer und drehte sich schließlich wieder um.
Alex stand wortlos da, starrte allerdings nicht ihn, sondern das Hundekörbchen an, das noch immer neben der Couch stand. Bens Grinsen verschwand umgehend. Der Blonde sah erschöpft und ausgelaugt aus. Sams Tod schien ihm wirklich sehr nahe zu gehen. Ben wollte etwas sagen, sein Mitgefühl ausdrücken, doch fand er einfach nicht die passenden Worte dafür. Alex wirkte abwesend. Seine blonden Haare sahen unfrisiert aus und er trug noch immer dieselben Klamotten vom Vorabend. Bei dieser Erkenntnis zog sich ein beißendes Gefühl durch Bens Eingeweide. Er fragte sich, ob Alex tatsächlich jemanden, vermutlich irgendeine Tussi, aufgerissen und mit ihr die Nacht verbracht hatte. Nur der Gedanke daran schmerzte ihn und erweckte ein Gefühl von Eifersucht in ihm.
„Ich hab’ die Nacht hier verbracht. Ich war eben nur nochmal kurz weg, weil ich meine Autoschlüssel abholen musste“, erklärte Alex plötzlich.
Diese Worte kamen so überraschend und unerwartet, dass Ben sie erst einmal verinnerlichen musste. Er hätte mit allem gerechnet. Damit, dass Alex überhaupt nichts entgegnen oder ihn dumm anmachen würde. Doch niemals damit, dass er ihm in Form einer derart präzisen Erklärung antwortete.
Ungläubig starrte er den Blonden an und zog seine Augenbrauen dabei skeptisch zusammen.
„Ja, ich“, fuhr Alex unaufgefordert fort, während er mit seiner verbundenen Hand eine unklare Geste machte, „hab’ ein bisschen zu viel getrunken. Mein geplanter One-Night-Stand hat mir dann die Schlüssel abgenommen und in der Kneipe hinterlegt.“
Ben traute seinen Ohren nicht. Alex war wie ausgewechselt. Er war weder hasserfüllt noch schweigsam, sondern erzählte in einer nahezu menschlichen Art und Weise von dem, was am Vorabend vorgefallen war.
Ben hätte vieles erwidern können, doch stattdessen formten seine Lippen die folgenden Worte wie von selbst, als ob es für ihn nichts Wichtigeres oder Entscheidenderes an Alex’ ganzer Aussage gab.
„One-Night-Stand? Geplant?“, fragte er und hob dabei beide Augenbrauen.
Endlich wandte Alex seinen Blick wieder vom Hundekörbchen ab und sah in Bens Richtung. Er wirkte blasser als üblich und sah im Gesamten nicht sonderlich lebendig aus.
„Na, ja ... eigentlich hat sie sowieso nicht in mein Beuteschema gepasst“, erwiderte er trocken.
Sie?, dachte Ben und spürte dabei schon wieder ein brennendes Gefühl durch seine Nervenbahnen jagen. Binnen weniger Sekunden verblasste in ihm jegliche Hoffnung, dass Alex vielleicht doch schwul sein könnte. Doch auch das ließ er sich nicht anmerken. Außerdem war er nach wie vor viel zu überrascht
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