Wintermond (German Edition)
blauen Großlettern die Aufschrift „Hotel“ zu lesen war. Alex trat zögerlich näher. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und schritt zur Eingangstür. Er streckte seine Hand nach der roten Türklinke aus und trat ein. Vor ihm tat sich ein schmaler Flur auf, auf dessen rechten Seite sich die Rezeption und auf der linken ein großer, goldumrahmter Spiegel befand. Vor dem Spiegel stand noch ein kleiner Tisch, auf dem ein paar Zeitschriften lagen. Direkt daneben stand ein schwarzer Stuhl. Vermutlich sollten diese beiden Accessoires das Ambiente etwas auflockern und einladend auf die Gäste wirken.
Alex blieb noch einen Moment lang stehen und wagte es kaum, einen weiteren Schritt vorwärts zu gehen. Er wurde erst dann aus seinen Gedanken gerissen, als er plötzlich von einer freundlichen Stimme angesprochen wurde.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine junge Dame hinter der Rezeption.
Sie schien Mitte dreißig zu sein. Sie trug eine weiße Bluse und hatte ihre dunklen Augen mit einem dazu passenden Lippenstift betont. Ihre langen, braunen Haare hatte sie mit einer silbernen Haarspange zusammengesteckt.
„Ja ... ich ...“, stammelte Alex unsicher und ging schließlich noch ein paar weitere Schritte vorwärts.
Die Brünette blickte ihn erwartungsvoll an.
„Ich möchte jemanden besuchen“, fuhr Alex fort. „Ben Richter. Er ...“, Alex räusperte sich verlegen und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Er hat mir geschrieben, dass er hier in Zimmer 201 untergekommen ist.“
Die Dame hinter dem Empfang blickte ihn kurz stutzig an. Alex wusste nicht, ob dies an seiner Unsicherheit lag oder daran, dass es relativ unüblich war, dass ein Mann einen anderen Mann besuchte. Doch Letzteres war vermutlich ein eingebildetes Hirngespinst, das er sich nur deshalb zurecht dichtete, weil er glaubte, ihm würde das Schwulsein regelrecht ins Gesicht geschrieben stehen.
„Soll ich Herrn Richter Ihren Besuch ankündigen?“, fragte sie dann freundlich.
Alex schüttelte daraufhin sofort seinen Kopf.
„Nein, nein!“, erwiderte er und machte dabei eine abtuende Geste. „Er weiß Bescheid. Wir sind verabredet.“
Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, schien ihm aber in jenem Moment eine passende Antwort zu sein.
„Dann müssen Sie eigentlich nur einmal die Treppe dort hinten hoch“, erwiderte die braunhaarige Frau und lehnte sich dabei etwas über den Tresen, um mit ihrer Hand in Richtung des Treppenhauses zu deuten, „und dann folgen Sie einfach den Zimmernummern!“
Alex nickte gedankenverloren.
„Danke“, sagte er knapp und wandte sich daraufhin von der Rezeption ab.
Dann schritt er in das besagte Treppenhaus, in dessen Richtung die Empfangsdame soeben gezeigt hatte, und machte sich auf den Weg in die erste Etage. Dort angekommen, folgte er, wie von der Brünetten an der Rezeption beschrieben, den Zimmernummern und fand sich so recht schnell vor dem besagten Hotelzimmer wieder.
Alex blieb vor der verschlossenen Tür stehen und begann schwerer zu atmen. Seine Hände wurden noch schwitziger, sein Puls raste förmlich und durch seinen Magen jagte ein schwallartiges Kribbeln. Es glich dem Adrenalin gesteuerten Gefühl, das einen durchfuhr, wenn man vor einer selbstinszenierten Mutprobe stand - zum Beispiel kurz davor war, von einem Zehnerbrett im Freibad zu springen oder einen Spickzettel während einer Prüfung aus der Tasche zu ziehen. Es war ein unangenehmes Gefühl, das seinen Verstand regelrecht betäubte.
Noch immer hatte er keine Ahnung, wie er das Gespräch mit Ben beginnen sollte. Plötzlich wusste er nicht einmal mehr, ob die Entscheidung, hierhergekommen zu sein, vielleicht die falsche war. Er wurde derart unsicher, dass er am liebsten wieder geflüchtet wäre. Er wagte es nicht einmal, einen weiteren Schritt nach vorne zu treten, um an der Tür zu klopfen. Irgendetwas in seinem Inneren hemmte ihn mächtig.
Doch dann wurde ihm die Entscheidung mit einem Mal wie von selbst abgenommen. Es war der Moment, in dem die besagte Tür plötzlich von innen heraus geöffnet wurde und Alex dem Dunkelhaarigen daraufhin unvorbereitet gegenüberstand.
Bens Blick verzog sich skeptisch, während Alex seine Augen weit aufriss und erschrocken zurückstarrte. Der heftige Herzschlag in seiner Brust erschwerte ihm das Atmen. Er fühlte sich benommen und sein Verstand schaltete sich wie automatisch ab. Er schaffte es nicht, seinen Blick abzuwenden, konnte sich nur noch auf Ben konzentrieren.
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