Wintermond (German Edition)
auch kein Geld.“
Alex schnaubte aufgeregt und hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Die folgenden Worte spuckte er förmlich aus: „Ich scheiß’ auf dein Geld, Vater!“
Er funkelte Jo wütend an und trat rückwärts aus der Küche, ohne den starren Blick von seinem Vater abzuwenden. Erst kurz vor der Tür wandte er sich um und verließ die Küche in hastigen Schritten.
Ben blickte dem Blonden eine Weile hinterher und kratzte sich daraufhin verlegen am Kinn.
„Mach’ dir nichts daraus!“, versuchte Jo ihn zu beruhigen. „Ich hab’ dir doch gestern gesagt, wie er ist.“
Ben nickte gedankenverloren und nahm einen großen Schluck aus seinem Wasserglas. Am liebsten hätte er Jo gesagt, was er von dessen Sprüchen über seinen eigenen Sohn hielt, doch traute er sich dies nicht zu. Er dachte sich lediglich seinen Teil, um sich das Praktikum bei Johannes Tannenberger nicht zu verscherzen. Denn dies war von großer Bedeutung für sein Studium.
Nichtsdestotrotz fühlte er sich schlecht. Völlig unbeabsichtigt war er zum Auslöser zweier Streitgespräche zwischen Jo und Alex geworden. Und obwohl der Blonde ihn bislang wie den letzten Dreck behandelt hatte, ihn immer wieder aufs Neue beschimpfte und beleidigte, begann Ben ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen zu entwickeln. Er fühlte Alex nach und plötzlich wurde ihm bewusst, dass dieser ihm tatsächlich ein wenig leid tat. Warum dies so war, konnte er sich zu jenem Zeitpunkt selbst nicht erklären.
Kapitel 6
Es verging eine ganze Woche, in der Alex Ben und seinen Vater weitgehend gemieden hatte. Das Verhältnis zwischen den beiden war von Tag zu Tag freundschaftlicher geworden und ähnelte dabei schon fast einer Vater-Sohn-Beziehung. Jo beschäftigte sich intensiver mit Ben als er es seit langem mit Alex getan hatte. Doch dieses flüchtige Gefühl von Eifersucht versuchte Alex bestmöglich zu ignorieren. Er wusste lediglich, dass er seit Bens Outing nichts mehr mit diesem zu tun haben wollte. Schwule passten einfach nicht in sein perfektes Gesellschaftsbild.
Seit dem letzten Vorfall in der Bar war Alex kein weiteres Mal mehr spielen gegangen. Das Verlangen danach war anfangs noch größer gewesen, hatte ihn sogar zweimal um seinen Schlaf gebracht. Doch mit jeder weiteren Stunde und jedem weiteren Tag hatte die Sehnsucht zunehmend nachgelassen. Es war zwar noch immer so, dass er, wenn er in Versuchung käme, nicht ablehnen würde, doch schien diese Möglichkeit ferner als je zuvor zu sein. Er konnte kein weiteres Mal in die Bar zurückkehren. Nicht, bevor er seine Schulden beglichen hatte. Die Narben vom letzten Mal, als er diesen Fehler begangen hatte, zogen sich noch immer schwach über seine rechte Gesichtshälfte. Seitdem hatten sich die Typen nicht mehr bei ihm gemeldet und Alex wusste nach wie vor nicht, wie er an die 40.000 Euro kommen sollte.
Es war ein sonniger Wintertag, als Alex mit seinem Hund, Sam, das Haus verließ. Die grellen Sonnenstrahlen wurden vom weißen Schnee reflektiert und blendeten ihn. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und schlenderte in gemächlichen Schritten von der Einfahrt des Hauses. Sam folgte ihm aufgeregt.
„Komm!“, rief Alex zu seinem Hund. „Wir gehen ein wenig am Wasser entlang.“
Sam bellte daraufhin.
Er überquerte die durch den vielen Schnee matschig gewordene Straße und ging schließlich auf der anderen Seite die lange Treppe hinab, bis er sich auf dem Wanderweg wiederfand. Sam blieb alle paar Meter stehen und schnüffelte an verschiedenen Schneehaufen. Er wirkte fast ein wenig ziellos dadurch, dass er keine Laubberge oder Büsche fand, an denen er interessierter schnuppern konnte.
Wie jeden Tag versuchte Alex angestrengt über eine Lösung nachzudenken. Er wollte sich kein weiteres Mal mit den schmierigen Kerlen anlegen. Aber seinen Vater konnte er nicht noch einmal um Geld bitten.
Jetzt, wo das Spielen mit einem Mal so fern für Alex wirkte, konnte er sich nicht mehr erklären, wie er am besagten Abend, an dem die Schulden entstanden waren, nur so dumm gewesen sein konnte. Doch er kannte diese Gedankengänge und Gefühle. Sie ähnelten in ihrer Art die eines Typens, der seine Frau schlug und sie nach jedem Ausrutscher anflehte, ihn nicht zu verlassen, weil es ihm leid tat und er sich ändern wollte. Dabei war klar, dass er sich schon bald erneut an seiner Frau vergehen würde.
Mit dem Spielen war es ähnlich. Befand man sich weit weg vom Ort des Geschehens, redete man sich
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