Wintermond (German Edition)
hätte man Jo vermutlich für einen besorgten, verzweifelten Vater gehalten. Doch mit nur etwas mehr Hintergrundwissen konnte man förmlich spüren, wie Jo seinen Sohn lediglich triezte und damit vor Ben bloßstellte.
„Vater“, begann Alex erneut und blickte wütend von seinem Teller auf, „ich sagte, dass es dich nichts angeht. Ich misch’ mich ja auch nicht in deine Angelegenheiten ein.“
Ben füllte sich nun ebenfalls etwas Essbares auf und versuchte dabei, so unauffällig wie nur möglich zu wirken. Er wollte sich nicht in das Gespräch einmischen.
Einen Moment lang herrschte Stille. Man vernahm lediglich das Klirren des Bestecks. Ben probierte das asiatische Menü und beruhigte seinen leeren Magen mit jedem Bissen mehr.
„Ich habe Ben eine Liste von Daten gegeben“, brach Jo irgendwann das Schweigen und wandte sich dabei an seinen Sohn, „er wird ein paar Skizzen anfertigen. Ich möchte, dass du ihm dabei hilfst, wenn er irgendwelche Fragen hat, und ihm zeigst, wo er im Arbeitszimmer alles finden kann.“
Ben begann sich in diesem Moment zu schämen. Er wollte keine Hilfe von Alex und hätte diese selbst niemals verlangt.
„Ich glaub’s ja wohl nicht“, erwiderte Alex daraufhin entgeistert, ließ sein Besteck auf den Teller fallen und lachte fassungslos auf. „Ich dachte, ich soll ihm helfen, indem ich zusammen mit ihm an irgendeinem Projekt arbeite. Aber du kannst ja wohl nicht ernsthaft von mir verlangen, dass ich seinen Assistenten spiele.“
„Es geht hier um Bens Praktikum und nicht um dich“, sagte Jo streng. „Du willst dir doch das Geld verdienen oder etwa nicht? Also wiederhole ich mich nochmal. Entweder du nimmst dieses Angebot an oder du lässt es bleiben.“
Alex blickte finster zu seinem Vater auf, bevor er wortlos weiter aß und nichts mehr auf Jos letzten Kommentar erwiderte.
Ben fühlte sich miserabel. Er war immerhin der Auslöser für das ganze Streitgespräch. Doch konnte er in jenem Moment nicht viel daran ändern. Jo würde sich vermutlich nicht von ihm reinreden lassen. Also schwieg auch er.
Erst nach einer ganzen Weile wurde er wieder aus seinen Gedanken gerissen, indem Jo ihn fragte: „Und, wie sieht’s aus, Ben? Hast du zurzeit eine Freundin?“
Ben schluckte den letzten Bissen herunter und blickte verwundert auf. Mit solch einer Frage hatte er nun überhaupt nicht gerechnet.
„Hat mein Vater dir denn nichts erzählt?“, fragte er dann und klang dabei recht selbstbewusst.
„Nein, wieso auch?“, antwortete Jo und leerte sein Weinglas.
Ben verharrte noch einen Augenblick lang, bevor er ungewollt loslachte. Er konnte kaum mehr an sich halten, als er daraufhin die Gesichter der beiden anderen sah. Jo hatte seine Stirn in Falten gelegt und auch Alex blickte skeptisch in seine Richtung.
„Was ist denn los, Ben?“, fragte Jo schließlich.
Der Angesprochene versuchte sich daraufhin zu beruhigen und fuhr sich mit der Hand über die Lippen. Alex beobachtete ihn argwöhnisch.
„Tut mir leid“, verteidigte Ben seinen Lachanfall, „Es ist nur ...“, er stockte kurz, suchte nach den passenden Worten. „Ich steh’ nicht auf Frauen. Ich hab’ mich erst vor zwei Monaten von meinem Freund getrennt.“
Es fiel ihm offensichtlich nicht schwer, darüber zu reden.
Kaum hatte er ausgesprochen, erfüllte eine erdrückende Stille den Raum. Ben blickte abwechselnd von Jo zu Alex und wieder zurück. Er hoffte, dass einer der beiden endlich auf sein Outing reagieren würde.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, Vater?“, fragte Alex schließlich an Jo gewandt und klang dabei ungläubig und entsetzt zugleich. „Du hast hier ’ne Schwuchtel aufgenommen?“
Er ignorierte Ben vollständig.
Dieser wollte augenblicklich etwas zu seiner Verteidigung sagen, doch als Jo eine besänftigende Geste machte, hielt er sich zwanghaft zurück.
„Ich wusste das doch selbst nicht“, erklärte Jo, „und ja, es ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber Ben leistet fabelhafte Arbeit. Da kommt es nun wirklich nicht auf seine Neigung an.“
„War ja klar, dass für dich nur die Arbeit zählt“, gab Alex wütend zurück und drückte sich unsanft samt Stuhl vom Tisch ab, so dass seine auf dem Tellerrand platzierte Gabel herunter rutschte.
Dann stand er auf.
„Mit dem da“, er nickte mit einem angewiderten Blick in Bens Richtung, „werd’ ich mit Sicherheit nicht zusammen arbeiten.“
Jo zuckte unberührt mit der Schulter und erwiderte gelassen: „Dann gibt’s eben
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