Wintermond (German Edition)
Ben aufgeregt um die Beine.
„Ist ja gut“, sagte Ben und verstellte seine Stimme unbewusst, als ob er mit einem Kleinkind redete. „Wir gehen jetzt raus. Mal sehen, wer schneller ist, ja?“
Kaum hatte er die Tür geöffnet, stürmte der Hund ins Freie. Ben blickte sich noch einmal um und sah, dass Jo zufrieden wirkte.
„Nimm den hier mit!“, sagte Jo noch und warf einen Schlüssel in Bens Richtung, den dieser reflexartig auffing. „Wir sehen uns dann am Mittag!“, verabschiedete er sich schließlich, bevor er wieder in der Küche verschwand.
Ben konnte sich zu gut vorstellen, wie Jo jetzt noch in der Zeitung lesen, danach eine zweite Tasse Kaffee trinken und schließlich im Arbeitszimmer zu zeichnen beginnen würde. Der bekannte Architekt schien ein verbissener Perfektionist mit einem strengen Tagesplan zu sein. Vermutlich gab es nur selten etwas, das ihn aus seinem Alltagsgeschehen reißen konnte. Eigentlich ähnelte Ben ihm in all diesen Punkten sehr, dennoch konnte er sich seit dem gestrigen Gespräch nicht mehr mit seinem eigentlichen Vorbild identifizieren. Er fand es einfach zu hart, wie Jo über seinen Sohn gesprochen hatte. Der eigentlich sympathische Mann hatte ihn mit nur wenigen Worten in sein persönliches Denken blicken lassen und ihn damit etwas abgeschreckt.
Ben zog die Haustür hinter sich zu und verließ die Hofeinfahrt in einem leichten Laufschritt. Sam folgte ihm durch den dichten Schnee, der seine Pfoten nahezu vollständig versinken ließ und bellte wie verrückt.
„Na, komm schon!“, rief Ben.
Er überquerte die Straße und lief daraufhin eine lange Treppe hinunter, bis er an einen Wanderweg gelangte, der direkt an der Elbe entlang führte. Da vermutlich viele Spaziergänger diesen Pfad nutzten, war der frische Schnee bereits platt getreten und hatte sich mit dem darunter liegenden Sand vermischt. Ben verweilte noch einen Augenblick, zog seinen Schal fester und lief schließlich in einem schnellen Tempo los. Sam holte ihn sofort ein und rannte nun neben ihm her. Immer wieder blickte er dabei hechelnd zu seinem Herrchenersatz auf, als ob er Lob aufgrund seiner Leistung erwartete. Ben schüttelte grinsend den Kopf und lief weiter. Die Wasseroberfläche der Elbe glitzerte und schlug Wellen, als ein Containerschiff an ihnen vorbei fuhr. Die fremden Leute, denen Ben unterwegs begegnete, begrüßten ihn freundlich, als ob sie ihn seit Jahren kannten. Es kam Ben so vor, als ob dies an der streng genommenen Höflichkeit in diesem Wohnviertel lag.
Als er irgendwann bereits eine lange Strecke hinter sich gebracht hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und lief den gleichen Weg wieder zurück zur Villa.
Dort angekommen stützte er sich mit den Händen auf seinen Knien ab und schnappte nach Luft. Sam ließ sich erschöpft neben ihm in den Schnee fallen.
„Das war Sport, was?“, fragte Ben lachend.
Er machte noch ein paar Dehnübungen, bevor er sich aus Schal und Mütze befreite und den Haustürschlüssel der Villa aus seiner Tasche zog. Er zog sich die Handschuhe aus und schloss die Tür auf. Sam erhob sich daraufhin fiepend, schüttelte sich den losen Schnee vom Körper und huschte an Ben vorbei in die Küche. Vermutlich wollte der Vierbeiner zu seinem Wassernapf.
Ben legte seine Sachen und den Schlüssel wieder auf der Kommode ab und wollte dann ebenfalls etwas trinken gehen, als Alex plötzlich aus der Küche trat, sich in den Türrahmen stellte und Ben damit den Zugang zur Küche verwehrte.
„Was willst du?“, fragte Ben genervt.
Er hatte direkt nach dem Laufen keine Lust auf eine sinnlose Konversation. Seine Kehle war staubtrocken und er wollte nicht mehr als einen Schluck Wasser. Also versuchte er sich an Alex vorbei zu quetschen, doch wich dieser immer genau dorthin aus, wo der Dunkelhaarige entlang zu gehen versuchte. Als Ben daraufhin gereizt zu Jos Sohn aufblickte, fielen ihm Schürfwunden an dessen rechter Wange und eine aufgeplatzte, mit getrocknetem Blut verkrustete Stelle an seiner Lippe auf.
„Was fällt dir ein?“, fragte Alex streng.
„Was fällt mir wozu ein?“, fragte Ben irritiert zurück.
„Mit Sam rauszugehen“, erwiderte Alex und blickte mit verärgerter Miene auf ihn herab.
„Na, wenn du deinen Hund so vernachlässigst“, entgegnete Ben, „sei doch froh, dass sich jemand um ihn kümmert.“
Alex schwieg, verharrte jedoch in seiner Position, als ob er auf weitere Worte Bens wartete.
„Und wenn du’s genau wissen willst“, erklärte dieser
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