Wintermond (German Edition)
dicken Ästen und Zweigen der vielen Bäume gebrochen und flackerten wie ein Discolicht vor Alex’ Augen, als dieser einen schmalen Pfad entlang eilte. An einer kleinen, hölzernen Brücke, unter welcher der schmale Bach gefroren war, konnte er schon von weitem jemand stehen sehen und erkannte kurz darauf, dass es Diego war.
Sam lief bellend voran, woraufhin Diego sich umwandte und den kräftigen Schäferhund begrüßte, bevor er zu Alex aufsah.
„Da bist du ja endlich“, sagte Diego, drehte sich wieder um und legte seine Arme ineinander verschränkt auf dem Brückengelände ab. In seiner schäbigen Winterjacke wirkte er dicker als sonst.
„Mann, Diego“, begann Alex sofort, um auf den Punkt zu kommen, „ich hab’ wirklich alles versucht, aber mein Vater stellt sich stur. Er hat sich irgendeine widerliche Schwuchtel als Praktikanten angelacht. Seitdem ist er wie ausgewechselt. Der Typ scheint ihm wichtiger als ich zu sein und mit einem Mal macht er einen auf spießigen Moralapostel.“
Diego verzog seine Miene und wiederholte Alex’ Worte angewidert. „Eine Schwuchtel? Das würd’ ich ja nicht mit mir machen lassen.“
„Was glaubst du, was ich davon halte?“, fragte Alex zurück.
„Aber darum geht es jetzt ja gar nicht. Jedenfalls bin ich vollkommen blank. Ich weiß nicht, wie ich bis morgen zehntausend Euro zusammen bekommen soll. Aber wenn ich dem Kerl das Geld nicht bringe, macht er mich ... vielleicht auch uns ... fertig. Ich hab’ letztens schon eine Kostprobe davon zu spüren bekommen.“
Diego wandte sich um und blickte Alex fragend an.
Dieser deutete auf die noch übrigen Narben in seinem Gesicht und erklärte: „Ich hatte gerade gewonnen, als der Kerl mit seinen Komplizen reinkam, mich dann rausgeschmissen hat und einer seiner Handlanger mich daraufhin so zugerichtet hat.“
Diego schwieg. Alex trat neben ihn an das Brückengeländer und schob mit seinem Fuß etwas Schnee durch die Sprossen. Die beiden blickten starr geradeaus, bis Diego unauffällig den Reißverschluss seiner Jacke öffnete und etwas in ein braunes Tuch Gewickeltes hervorholte. Er schob es die wenigen Zentimeter über das Gelände bis zu Alex’ Händen.
Irritiert nahm dieser den Gegenstand an sich und wickelte ihn behutsam aus. Als er daraufhin sah, was sich unter dem Stück Stoff verband, schlug er das Tuch sofort wieder zurück und drückte das Bündel zurück an Diego.
„Wo hast du die her?“, fragte Alex entsetzt.
„Das spielt doch keine Rolle“, entgegnete Diego trocken, „und nimm sie gefälligst!“
Alex schluckte, als Diego ihm die in braunen Leinenstoff gewickelte Pistole zurückgab.
„Was soll ich damit?“, zischte Alex und blickte sich nervös um.
Er hatte Angst, von irgendjemandem gesehen zu werden.
„Im Gegensatz zu dir, habe ich einen Plan“, meinte Diego daraufhin.
Alex traute seinen Ohren nicht.
„Und dazu brauche ich ’ne Knarre?“, fragte er entgeistert.
„Nein, die ist nur für den Notfall“, erwiderte Diego ruhig und klang dabei schon fast wie der Spanier, dem Alex das Geld schuldete.
„Diego, was hast du denn vor?“, fragte Alex streng.
„Bei uns im Haus wohnt so ’ne Alte. Als die mal irgendwas mit dem Rücken hatte, bin ich ein paar Mal für sie einkaufen gegangen. Als sie sich damals bei mir mit ein paar Euros bedanken wollte, konnte ich beobachten, wie sie ihr ganzes Geld in einer alten Spardose aufbewahrt. Sie hat mir sogar noch erzählt, wie sie ihre gesamten Ersparnisse da rein tut, weil sie der Bank misstraut. Und genau diese alte Frau ist momentan nicht zu Hause, besucht ihre Enkel oder so. Das ist doch schon fast eine Einladung, oder nicht? Ich weiß sogar, wo sie ihren Ersatzschlüssel versteckt. Die ganze Sache wäre ein leichtes Unterfangen“, erklärte Diego gelassen.
Alex musste das Gesagte einen Moment lang verarbeiten, bevor er ungläubig den Kopf schüttelte.
„Du willst da einbrechen?“, fragte er entsetzt und fügte entschlossen hinzu: „Da mach’ ich nicht mit.“
Er wusste, dass sein Kumpel schon einigen Mist gebaut hatte und die ganze Sache für ihn anscheinend nicht sonderlich außergewöhnlich war. Doch Alex hatte außer den illegalen Pokerspielen noch nie etwas Verbotenes getan.
„Jetzt steck endlich das Teil ein!“, riss Diego ihn aus seinen Gedanken und deutete auf die Waffe.
Wie von einer fremden Macht gelenkt streckte Alex schließlich seine Hand aus, nahm die Pistole an sich und ließ sie in seiner Jackeninnentasche
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