Wintermond (German Edition)
vergeigt. Ich war spielen und wollte die paar tausend Euro erhöhen. Aber es ging schief.“
Alex schlug sich verzweifelt die Hand vors Gesicht. Er hoffte inständig, sich erneut in einem schlechten Traum zu befinden. Doch er wusste, dass er wach war.
„Diego, nein ...“, brachte er dann leise hervor. Er hätte fluchen und schreien können, doch fehlten ihm die Worte und in jener Situation auch die Kraft dazu.
„Mann, Alter!“, begann Diego sich zu verteidigen. „Ich wollte dir doch nur helfen. Hätte ich gewonnen, wärst du deine Schulden, in die du mich zu deiner Erinnerung mit reingezogen hast, vielleicht auf einmal losgeworden.“
Alex schwieg.
„Ja, okay“, sagte Diego, „die Sache mit der Kohle ist jetzt blöd gelaufen, aber ohne dich würden wir gar nicht erst so tief in der Scheiße sitzen.“
Alex wusste nicht, was er erwidern sollte. Diego hatte auf eine perverse Art und Weise Recht. Ohne Alex gäbe es keine Schulden, ohne Schulden keinen Einbruch und ohne Einbruch keinen Studenten, den Diego hätte zusammenschlagen können.
Alex fühlte sich miserabel, während die bislang unterdrückten Schuldgefühle in ihm empor krochen wie Ungeziefer, das sich nun durch sein Inneres fraß. Er fühlte sich leicht benommen. Der pochende Schmerz an seinen Schläfen ließ allmählich nach. Der letzte Funken Hoffnung war so plötzlich erloschen, dass Alex es kaum fassen konnte. Sein Körper schien die Botschaft dabei schneller aufzunehmen als sein Verstand. Alles, was in der Nacht geschehen war, war umsonst gewesen. Auch der Student war vermutlich umsonst gestorben. Verbunden mit dieser Erkenntnis wurde Alex bewusst, was für ein großes Problem er nun hatte. Die Typen wollten ihr Geld haben, aber er hatte keines. Sie würden ihn fertig machen - das war sicher.
„Frag’ doch noch mal deinen Vater!“, riss Diego ihn aus den Gedanken. „Notfalls musst du ihm halt sagen, was Sache ist. Der wird dir ja wohl helfen, oder nicht?“
Diegos Worte hallten bedeutungslos in seinem Kopf wider. Er konnte seinen Vater nicht fragen. Er wollte es auch gar nicht und selbst wenn er es tun und ihm dabei die Wahrheit erzählen würde, würde dieser augenblicklich die Polizei rufen, um den illegalen Pokerspielen ein Ende zu bereiten und genau das würde Alex letztendlich noch tiefer in die Scheiße reiten.
„Ich muss auflegen“, waren die einzigen Worte, die er in jenem Moment noch zustande brachte.
Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort von Diego, sondern nahm das Handy von seinem Ohr und legte auf. Dann begann er geradeaus ins Leere zu starren, während er das Handy aus seiner Hand neben sich auf die Bettdecke gleiten ließ. Sein Verstand versuchte sich derweilen mit seinen Problemen auseinander zu setzen und ihm klar zu machen, dass er längst zu weit gegangen war und sich nun bereits so tief am Boden befand, dass er kaum mehr von dort aufstehen konnte. Doch auch diesen Gedanken versuchte Alex zu ignorieren. Er redete sich ein, dass der Einbruch bei der alten Frau halb so schlimm gewesen war und Diego es gewesen war, der den Studenten tot geprügelt hatte. Mit dieser Sache wollte er nichts zu tun haben und versuchte sie gänzlich aus seinem Kopf zu verbannen. Er redete sich schließlich erfolgreich ein, dass der Spanier, der in wenigen Stunden in der Bar auf ihn warten würde, nur mit leeren Worten drohte und ihm nichts antun würde. Was sollten sie ihm auch tun? Sein Vater war reich und damit war Alex bislang eine gute Geldquelle für sie gewesen. Diese momentane Ausnahmesituation konnte nicht zu seinem Verhängnis werden. Allein der Gedanke daran war lächerlich und ergab keinen Sinn. Die Typen würden jemanden wie ihn nicht anrühren. Sie wollten vermutlich bloß den Druck erhöhen, während sie nach wie vor fest damit rechneten, dass Alex das Geld von seinem Vater besorgen würde.
Diese Gedankengänge waren letztendlich plausibel genug, um Alex davon zu überzeugen, dass er nicht wirklich in Gefahr war. Daraufhin erwachte er aus seinem trancegleichen Zustand und atmete ein letztes Mal tief aus, bevor er sich vom Bett erhob. Er zog seine zerknitterte Bettdecke glatt, strich sich dann flüchtig über seine Kleidung und kramte in seiner Nachtschrankschublade nach einem Kaugummi. Seine Zähne konnte er sich auch später putzen, aber erst einmal hatte er es eilig.
Sein Vater war ein Frühaufsteher und Ben hatte sich diesem Rhythmus heuchlerisch angepasst. Alex verabscheute es, wie Ben seinen Vater von Tag zu Tag
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