Wintermond (German Edition)
intensiv er über Ben nachdachte und diesen die ganze Zeit über interessiert gemustert hatte. Er schüttelte sich, als ob er nicht wahrhaben wollte, dass er überhaupt irgendeinen Gedanken an den Architekturstudenten verschwendete, bevor er ganz auf den Tisch zutrat und den Bildschirmschoner mit einem Klick auf die Laptopmaus verschwinden ließ. Daraufhin fand er sich in dem Zeichenprogramm wieder und konnte sehen, dass Ben tatsächlich all seine Arbeit wieder aufgeholt zu haben schien. Seine Entwürfe sahen gekonnt aus, als sei er bereits ein Profi in diesem Gebiet. Alex musste sich eingestehen, dass Ben tatsächlich viel weiter im Studium war als er selbst und sein Perfektionismus bezüglich seiner Karriere sich offensichtlich zu rentieren schien. Kein Wunder, dass Jo so begeistert von ihm war. Ben war das, was Jo als seinen Traumsohn bezeichnen würde.
Alex war gerade dabei, interessiert zwischen den verschiedenen Zeichnungen abwärts zu scrollen, als Bens müde Stimme ihn plötzlich aus den Gedanken riss.
„Glaub’ mir“, sagte dieser und richtete sich langsam von der Couch auf, „dieses Mal hab’ ich genug Sicherheitskopien gemacht.“
Alex ließ vom Laptop ab und wandte sich um. Augenblicklich setzte er wieder den für ihn üblichen, emotionslosen Blick auf, als ob er unbemerkt eine Maske über sein Gesicht gezogen hätte, hinter dessen Fassade er niemanden blicken ließ.
Alex räusperte sich noch einmal, bevor er in einer unklaren Geste auf den Laptop deutete.
„Hast ja alles wieder aufgeholt, was?“, fragte er dann und versuchte den für sich selbst unerklärbaren Hauch eines schlechten Gewissens zu ignorieren.
„Was willst du, Alex?“, entgegnete Ben trocken, klappte seinen Laptop zu und zog ihn zu sich.
Alex zuckte unberührt mit der Schulter, trat vom Tisch weg und ging ein paar Schritte vor Ben auf und ab.
„Du bist echt bemitleidenswert“, sagte Alex. „Du hast dich doch nur so ins Zeug gelegt, um meinem Vater noch tiefer in den Arsch zu kriechen.“
„Wenn du das sagst ...“, erwiderte Ben und klang gelangweilt.
Es schien ihn längst nicht mehr zu interessieren, wenn Alex ihn zu provozieren versuchte. Genau das war es, was diesen nun wütend machte.
„Vielleicht ist das ja so üblich unter euch Schwuchteln“, meinte er gehässig, „anderen in den Arsch zu kriechen.“
Ben lachte gekünstelt auf. Als er sich daraufhin kopfschüttelnd beruhigte, fragte er in einem ernsten Tonfall und genervt zugleich: „Sag’ einfach, was du willst! Umso schneller können wir dieses niveaulose Gespräch hinter uns bringen.“
„Okay“, meinte Alex daraufhin, blieb gegenüber von Ben stehen und blickte bedrohlich in dessen Richtung. „Ich will, dass du die Sache mit der gelöschten Datei für dich behältst und meinem Vater nichts davon erzählst.“
„Was würde das schon ausmachen?“, fragte Ben daraufhin. „Viel schlechter kann euer Verhältnis zueinander doch eh nicht mehr werden.“
In Alex kroch augenblicklich Wut empor. Er erinnerte sich wieder an seinen Traum und daran, wie eine ähnliche Konversation zwischen ihm und Ben stattgefunden hatte, bis er diesen schließlich brutal zusammengeschlagen hatte. Aus diesem Grund versuchte er zwanghaft ruhig zu bleiben.
„Ein Wort an meinen Vater und ich verklicker ihm, dass du ein perverser Spanner bist, der sich an mich ranzumachen versucht!“
„In Ordnung“, erwiderte Ben übertrieben ruhig, als ob ihn das Gesagte nicht mal ansatzweise interessierte.
„In Ordnung?“, wiederholte Alex ungläubig, während er beobachtete, wie Ben aufstand und den Laptop unter seinen Arm klemmte.
„Weißt du, Alex“, begann Ben daraufhin und ging auf ihn zu, „erstens versuch’ ich mich nicht an dich ranzumachen. Zweitens hättest du mich auch ohne Drohung darum bitten können, die ganze Sache für mich zu behalten. Es ist immerhin nur etwas zwischen dir und mir und ich bin kein kleines Kind mehr, das deshalb petzend zu deinem Vater rennt.“ Er stockte einen Moment lang, bevor er fortfuhr, „und drittens sind wir quitt. Ich hab’ dich beim Duschen beobachtet, du hast mir dafür eins reingewürgt. Hätte ich an deiner Stelle vielleicht nicht anders gemacht.“
Ben klang so kühn, dass Alex einen Moment brauchte, um das Gesagte zu verarbeiten. Erst, als Ben sich, nachdem er ihm einen letzten Blick zugeworfen hatte, an ihm vorbeidrängelte und den Wintergarten verließ, wurde Alex bewusst, was der andere ihm soeben gesagt hatte. Skeptisch
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