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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Hellblau der Wände in kunstvoll despektierlichen Anspielungen unter die Nase zu reiben.
    Mit verschränkten Armen blickte Meta zu dem hässlichen Murano-Leuchter auf und spielte mit dem Gedanken, ihn einfach von der Decke zu holen. Sie würde ihn mit etwas zerknülltem Zeitungspapier in einen Pappkarton stecken und Karl schicken. Falls dem Ding unterwegs ein Arm abbrechen sollte, war es auch nicht schade drum. Doch so verführerisch dieses Vorhaben auch erschien, Meta konnte sich nicht dazu durchringen, es in die Tat umzusetzen.
    Mit einem Anflug von Erschöpfung schleppte sie sich zum Sofa und streckte sich darauf aus. Ihre Finger fanden die Fernbedienung für die Stereoanlage, und einen Moment später erscholl Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen durch den weitläufigen Wohnraum. Für gewöhnlich gab es keine bessere Medizin, um ihre angespannten Nerven zu beruhigen - wenn man einmal von Hochprozentigem absah. Aber dieses Mal funktionierte es nicht. Trotzdem blieb sie liegen, den Arm über die Augen gelegt, ein Bein über die Sofakante hinabhängend.
    Was war nur los mit ihr? Seit Tagen schon fühlte sie sich, als hätte sie sich einen Grippevirus eingefangen, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Ein Kribbeln in den Gliedern, das sie reizbar stimmte. Das ständig nagende Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, solange noch Zeit dafür blieb.
    Nachdem die letzten Töne des Musikstückes verebbt waren, sprang Meta auf und tigerte einige Runden durch das Zimmer. Sie schob Ziergegenstände auf der Kommode zurecht und warf einen kurzen Blick durch den Vorhang auf den  Himmel, der sich allmählich durch Wolkenkaskaden verdunkelte. Spätestens zur Mittagszeit würde es Regen geben. Dann blieb sie vor dem gut versteckten Regal mit den CDs stehen. Mit dem Finger fuhr sie die Reihen entlang, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte.Trotzdem wurde sie fündig. Der Schriftzug einer Band stach ihr ins Auge. Dieses Album hatte ihr eine Mitbewohnerin aus der Zeit an der Universität geschenkt, Rockmusik für Studenten quasi. Unschlüssig ging sie die Titelliste durch, doch keines der Stücke rief eine Erinnerung wach, die erklärt hätte, warum ihr der Anblick dieser CD einen freudigen Stich versetzte.
    Nachdenklich betrachtete sie das Cover: In weichen Grautönen sah man ein Paar, das eine Handbreit voneinander entfernt, aber einander zugewandt dastand. Die Frau hatte dem Mann eine Hand auf die Schulter gelegt. Allerdings war nicht ganz klar, ob die Geste eine zärtliche Hinwendung oder eine Verabschiedung bedeutete.Was sollte sie bloß damit anfangen? Meta verspürte absolut nicht das Bedürfnis, sich ausgerechnet jetzt Rockmusik anzuhören. Eigentlich hatte sie diese Art von Musik noch nie gemocht. Dennoch ging sie zu der Anlage und legte die CD ein.
    In dem Augenblick, als der Gesang einsetzte, begriff sie, warum sich etwas in ihr nach dieser Musik gesehnt hatte: Die Stimme des Sängers klang wie die von David.Voll, doch mit einem verhaltenen Unterton. Ruhig, ausgeglichen, leicht rau. Keine Stimme, die nach Aufmerksamkeit heischte oder gar ins Dramatische umschlug.
    Ungläubig schüttelte Meta den Kopf, während sie sich auf den Boden setzte und die Knie mit den Armen umschlang. Die wenigen Sätze, die David geäußert hatte, hatten sich unzweifelhaft tief eingebrannt. Seine Wirkung ging weit über das hinaus, was sie sich eingestehen wollte. Meta schob den Gedanken beiseite und überließ sich dem Gesang. Die Stimme  war schön, auf eine maskuline Weise. Sie berührte etwas in Meta oder legte vielmehr etwas frei.
    Night falls  And towns become circuit boards  We can beat the sun as long as we keep moving
    Wie in Trance ging Meta ins Schlafzimmer, streifte ihren Bademantel ab und zog das Kleid, das noch vom Vortag über der Schaukelstuhllehne hing, über den Kopf. Während sie den Reißverschluss hochzog, fiel ihr Blick flüchtig auf das Bild, das nun weitgehend im Schatten lag. Sie dachte überhaupt nicht daran, sich Strümpfe überzuziehen, sondern schlüpfte einfach in ein Paar Ballerinas. Auf dem Weg nach draußen griff sie nach dem Trenchcoat und ihrer Handtasche. Als sie auf der Straße ein Taxi heranwinkte, war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte.
     So weit sie die Erinnerung trug, hatte sie den Fahrer in das Stadtviertel, in dem David lebte, geleitet. Doch besonders weit war das nicht gewesen, und schließlich entschied sich Meta dazu, einfach auf

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