Wintermond
anders.Was nützte es, Meta Unsicherheit und versnobtes Denken vorzuwerfen, wenn diese sich offensichtlich schon selbst mit genügend Zweifeln herumschlug. Dann lieber an Karls Stuhl sägen, das versprach zumindest vergnüglich zu werden.
Rahel war Karl in den Anfangstagen der Galerie auf einer der Vernissagen vorgestellt worden. Zuerst hatte Karl sie charmant begrüßt, nur um schon im nächsten Moment das Interesse an der Frau mit dem wirren Lockenhaar zu verlieren. Buchhalterinnen waren nun einmal nicht nach seinem Geschmack. Zwar hatte Rahel sich nicht weiter zu dieser Unhöflichkeit geäußert, aber ihr Widerwille war ihr deutlich anzusehen gewesen. Vermutlich hielt sie David allein deswegen schon für ein Geschenk der Götter, weil er das Zeug hatte, Karl endlich in den Ruhestand zu zwingen.
»David gegen Karl den Großen - das muss im Bett ja ein richtiges Kontrastprogramm sein«, tastete Rahel sich vor, und Meta ging sofort mit einem eifrigen Nicken auf das Thema ein. »Kann sein, dass ich falsch liege, aber ich vermute einmal, dass man sich das Recht, mit Karl zu schlafen, hart erarbeiten muss«, warf Rahel als Köder aus.
Ohne zu zögern, reagierte Meta: »Kein einziges Haar an Körperstellen, an denen laut Karl bei einer begehrenswerten Frau keins zu sein hat. Bei ungnädiger Beleuchtung darauf achten, dass der Hintern trotzdem im besten Licht erscheint. Am frühen Morgen rasch ins Bad huschen, bevor der Liebste auch nur ein Auge öffnet. Zähne putzen, Haare bürsten, Schlaf aus den Augen waschen, und wenn er sich dann regt, so tun, als sei man selbst auch gerade erst aufgewacht.«
Leicht wackelig, stemmte Meta sich vom Sofa hoch und ging zur Anrichte hinüber, um die letzte Flasche Wein zu holen: ein Merlot mit 12,5 Umdrehungen. Nun ja, der morgige Tag war ohnehin schon verloren. Während sie den Korkenzieher in den Flaschenhals stieß und Rahel eine Dose mit Nüssen hervorzauberte, wurde Meta zum ersten Mal bewusst, wie sehr sie das Liebesleben mit Karl unter Druck gesetzt hatte. Und wie lächerlich das Ganze erschien, wenn man es aus der Distanz heraus betrachtete.
»Guter Sex mit Karl verlangt disziplinierte Arbeit, und man darf sich vor allem niemals auch nur einen Augenblick gehenlassen.« Meta fuchtelte mit dem Korkenzieher so dicht vor Rahels Gesicht herum, dass diese sich sicherheitshalber tiefer in die Polster drückte. »Denn sollte Karl - entgegen seiner sonstigen Gewohnheit - sich dazu hinreißen lassen, einen außerplanmäßig in seine Arme zu schließen, hätte alles verheerende Folgen, was nicht dem Regelwerk für attraktive Frauen entspricht. Ein Baumwollslip? Und zack ist die sexuelle Anziehungskraft für immer verwirkt.«
Meta untermalte ihre Worte mit einem knallenden Fingerschnipsen, dann lehnte sie sich erschöpft gegen die Sofalehne und zog sich ein Kissen auf den Schoß. Eigentlich hatte sie insofern keinen Grund, sich zu beschweren, als Karl selbst geradezu akribisch seine eigenen hohen Ansprüche erfüllte. Er glaubte fest an den erotischen Freischein von Sixpacks und enthaarten Rückenmuskeln. Das zwischen ihr und Karl funktionierte ohne Frage, schließlich hatten sie sich beide ohne viele Worte darauf verständigt, wie es zu laufen hatte: sexy und modern, sprich hemmungslos und vielseitig. Aber gedankenlose Hingabe? Animalische Leidenschaft? Nicht mehr wissen, wo oben und unten ist? Das gab es nicht mit Karl, so viel stand fest. Sex machte man so, als ob eine Kamera liefe. Jede Nummer ein Werk für die Nachwelt.
»Wenn ich mit Karl zusammen bin, fühlt es sich manchmal so an, als ob mein Körper gar nicht wirklich existiert, sondern nur … ich weiß nicht … eine Idee ist. Beharrliches Magenknurren und Blasen an den Füßen von den Stilettos, so etwas darf es in Karls Welt nicht geben.« Meta erschrak über die Trostlosigkeit in ihrer Stimme. Niemals hätte sie erwartet, dieses beschämende Gefühl zuzugeben. Doch mit Rahel an ihrer Seite, die sie nicht unterbrach, ja, ihr nicht einmal heuchlerisch den Arm tätschelte, während sie sich insgeheim ins Fäustchen kicherte, konnte sie sich ihren Empfindungen stellen. Schüchtern lächelte Meta die Freundin an, die das Lächeln erwiderte.
»So läuft das halt mit dieser Art von Kerlen«, sagte Rahel, und etwas in ihrer Stimme klang bitter. »Die verkünden ihre Erwartungen natürlich niemals offen. Nein, dafür sind sie viel zu raffiniert. Ein Mann wie Karl arbeitet mit subtileren Methoden, die bei intelligenten und
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