Wintermond
klang eine solche Gewissheit durch, dass Hagens Mundwinkel sich bedrohlich tief nach unten verzogen.
»Warum sollte ich mir die Finger an dir schmutzig machen?«, konterte er. Trotz seiner Worte packte er David ins Haar und zerrte ihn mit brachialer Gewalt nach vorne. Hinter ihnen stöhnte Leug vor Überraschung auf, als er Davids Arm gezwungenermaßen freigab.
David stolperte einige Schritte, während er vor Schmerzen die Augen zukniff. Es fühlte sich so an, als wolle Hagen ihn mit bloßen Händen skalpieren. Dann stieß er mit voller Wucht gegen die Tischkante und kippte vornüber. Hagen half dem Ganzen noch nach, indem er seine Finger in Davids Nacken grub und ihn niederdrückte, bis sein Gesicht in dem borstig abstehenden Pelz versank.
Von dem Fell ging ein seltsamer Geruch aus, und seine Berührung glich ganz und gar nicht der einer toten Haut. David kam es vor, als hätte man sein Gesicht mit Gewalt in den Schoß des Dämons gezwungen und dieser würde sich ihm nun entgegenstemmen. Entsetzt riss er den Mund zu einem Schrei auf, woraufhin unzählige Härchen über seine Lippen tanzten. Er wollte zurückweichen, doch Hagen hatte sich direkt hinter ihn gestellt und verhinderte den Fluchtversuch mühelos. Nicht einmal seine Arme zitterten, als David sich mit aller Kraft zu entwinden versuchte. Stattdessen drückte er dessen Gesicht erneut nieder.
Der Wolf in seinem Inneren heulte gequält auf, bevor er sich in den tiefsten Winkel von Davids Seele zurückzog. David glaubte ersticken zu müssen, trotzdem war es ihm unmöglich, einzuatmen, so sehr ekelte er sich vor dem Pelz. Die Berührung rief einen derartigen Widerwillen in ihm wach, dass er ihn nicht einmal zügeln konnte, als ihm die Beine unter dem Körper wegzusacken drohten. In weiter Ferne spürte er die Aufregung des Rudels, aber er hoffte nicht darauf, dass ihm jemand zu Hilfe eilen würde - niemand war Hagen gewachsen, und sie alle wussten das nur zu genau. Außerdem - wer wollte schon jemandem zur Seite stehen, der sich gegen den Anführer auflehnte?
Ohne sagen zu können, ob sein Körper einfach wegen des Sauerstoffmangels ermattete oder ob er sich letztendlich Hagens Willen unterwarf, gab David den Widerstand auf. Einen Moment später löste sich der Griff in seinem Nacken, obgleich Hagen bedrohlich dicht hinter ihm stehen blieb. Für einige Atemzüge war es ihm auch gleichgültig. Er war nur darauf bedacht, den Kopf zur Seite zu drehen und seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Dann richtete er sich vorsichtig auf, musste jedoch feststellen, dass Hagen ihm kaum Spielraum ließ. Ungelenk kletterte er auf den Tisch und nutzte die Gelegenheit, in die Menge zu schauen. Alle Augen ruhten auf ihm. Er konnte die Gier sehen, die Lust an der Jagd, die Hagen auf ihn machte und die er selbst gleich auf die namenlose Frau machen würde. Er suchte nach Jannik und fand sein blasses Gesicht schließlich in den hinteren Reihen. In dem Jungen kämpfte ein Wettstreit zwischen Entsetzen und jener Fiebrigkeit, die das gesamte Rudel gefangen hielt. Aber auch eine Spur von Scham, weil er seinem Freund nicht zu Hilfe gekommen war. Jannik senkte den Blick, und auch David hielt es nicht länger aus, seinen Freund anzusehen.
Neben ihm regte sich die Frau. David reagierte auf ihre Bewegung, bevor er es überhaupt begriff. Sie hatte sich den hochgerutschten Kleidersaum über die Oberschenkel gezogen und zuckte bei Davids hastiger Bewegung zusammen. Als sie sich das Haar hinter die Ohren strich, erinnerte diese Geste David so schmerzlich an Meta, dass er beinahe vor Erbitterung aufgestöhnt hätte. Ihre grünen Augen machten es nicht besser, vor allem, weil aus ihnen neben der ganzen Furcht, die sie empfand,Verachtung gleißte. David rutschte auf sie zu und wollte beruhigend die Hand nach ihr ausstrecken, da schoss ihr Arm hervor, und sie hielt ihren Zeigefinger ausgestreckt in die Luft. Mitten in der Bewegung erstarrte er und blickte sie stumm an.
Die Frau öffnete ihren Mund, aber erst beim zweiten Anlauf drangen auch Worte mit einem kaum verständlichen Akzent heraus: »Was willst du, mich hier bumsen? Auf diesem Fell, vor denen da?«
»Das wäre schön, was?«, tönte Mathol, der weiterhin die Stellung neben ihr hielt, und lachte dreckig. »Nein, Mädchen. Der Junge wird dich gleich fressen.« Blitzschnell beugte er sich vor und schnappte mit seinen riesigen Zähnen in die Luft, dass es klackte. »Streng dich an, David, dem Publikum muss schließlich etwas geboten
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