Wintermond
Nebenmann zu berühren, Leiber, die sich vor- und zurücklehnten, Arme und Hüften, die aneinandergerieben wurden. Der Wunsch, miteinander zu verschmelzen, griff rasend schnell um sich. In der Menge erkannte er Jannik, der die Augen geschlossen hielt und den Kopf gegen die Schulter einer älteren Frau gelehnt hatte, von der David glaubte, dass es Ruth war. Doch er konnte nur ihre Rückseite erkennen, da sie in den Armen eines Mannes lag.Auch er selbst war diesem rasch um sich greifenden Bedürfnis ausgeliefert und ertappte sich dabei, wie er sich möglichst dicht neben Nathanel stellen wollte, so dicht, dass sie sich unweigerlich berühren würden. Als könne eine Berührung die seltsame Erregung mindern, die Hagens Ruf in ihm geweckt hatte.
Es war das Eingeständnis von Zusammengehörigkeit, einander zu brauchen. Es entspann sich eine dem Wolf eigentümliche Energie, die sie miteinander verband. Ein wunderbares, wohliges Gefühl, das einen bestärkte und dem Leben einen Sinn verlieh. Diese Verbundenheit war einer der Gründe gewesen, warum David nach Convinius’ Tod Hagens Vorschlag, sich seinem Rudel anzuschließen, nicht abgelehnt hatte. Nach diesem Gefühl der Zugehörigkeit hatte er sich immerzu gesehnt, ganz gleich, wie hoch der Preis dafür sein mochte.
Doch bevor David tatsächlich seinem Bedürfnis nachgab und zu Nathanel ging, der nach wie vor allein und seltsam distanziert an der Wand lehnte, kam ihm erneut die junge Frau in den Sinn. Das Wissen um den Preis für diese Zusammengehörigkeit versetzte ihm einen Stich.
Amelia war inzwischen über den Tisch zu Hagen geklettert, und als er erneut zu sprechen begann, legte sie ihre Lippen an sein Ohr, als flüstere sie ihm etwas zu.
»Ich denke, der Weg, den wir beschreiten werden, ist allen hier klar: Wir werden Maggie das Angebot machen, sich uns anzuschließen. In der nächsten Zeit werden wir ihr zeigen, dass sie ihre Grenzen nicht aufrechterhalten kann. Im Augenblick mag sie sich zwar noch tot stellen, aber wir werden sie zwingen, unsere Grenzüberschreitungen nicht länger zu ignorieren.« Hagen streichelte bei diesen Worten über den Rücken seiner Gefährtin. Dabei hielt er seinen Blick gesenkt, gerade so, als erzähle er sich seinen Plan selbst. »Dann werden wir sehen, was Sascha und sein Haufen zu der neuen Situation sagen. Hält er still - gut. Fängt er an zu knurren - besser.Wir sind zahlreich und stark genug, um ihn aus der Stadt zu jagen. Um die kleinen Rudel in den Vorstädten müssen wir uns keine Sorgen machen, die werden sich aus unseren Geschäften schön raushalten. Und wir werden uns beizeiten um sie kümmern.«
Hagen hielt inne und sah sich um. Doch es gab weder Widerspruch noch begeisterte Zurufe. Über diesen Punkt waren sich in der Tat alle einig, ganz gleich, was der Einzelne darüber denken mochte. Hagen hatte diesen Weg schon vor langer Zeit eingeschlagen, und wer Bedenken geäußert hatte, war entweder verstummt oder hatte das Revier verlassen - freiwillig oder mit Nachhilfe, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte. Bei diesem Zusammentreffen war eigentlich nur ausgesprochen worden, was sie schon lange ahnten: Sie würden gegen Sascha in den Krieg ziehen. Für welchen Lohn? Darüber wurde nicht gesprochen.
Trotzdem hielt die Anspannung an, als erwarte ein jeder, dass noch etwas anderes kommen würde, als sei der Höhepunkt dieses Treffens noch nicht erreicht. Hagens Mund verzog sich zu einem Lächeln, während er geschmeidig auf den Tisch kletterte und sich in eine lauernde Haltung hockte. Unwillkürlich drängte die Menge sich näher an ihn heran in der Hoffnung, er würde endlich in sie eintauchen, sie alle vereinen.
»Uns stehen einige Herausforderungen bevor, weshalb ich meinen engsten Kreis ausdehnen werde.« Langsam drehte Hagen sich um die eigene Achse und schob sein Kinn unnatürlich weit vor. Seine Augen fixierten David, der instinktiv zurückwich und gegen Leug stieß. Blitzschnell drehte Leug ihm den Arm auf den Rücken, Davids Fluchen dabei ignorierend. »Uns zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern, David«, erklärte Hagen mit einer lockenden Stimme, doch das gierige Funkeln in seinen Augen erzählte eine andere Wahrheit. »Leider kann ich nicht länger Rücksicht auf deinen Widerwillen nehmen. Ich habe mir so viel Mühe gemacht, dich in dieses Rudel zu locken. Nun wirst du auf dich nehmen, was es braucht, um ein ernstzunehmendes Rudelmitglied zu werden. Ich wünschte mir, du wärst in der
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