Wintermond
Vergangenheit nicht so widerborstig gewesen, dann hätten wir diesen Weg Schritt für Schritt gehen können. Heute Nacht, befürchte ich, wirst du ihn mit einem Anlauf nehmen müssen.«
David erstarrte, während die Worte langsam zu ihm durchdrangen. Wie ein verzerrtes Echo hallten sie wider und ließen sich nur mühsam zusammensetzen. Und während sein Verstand Hagens Worte noch nicht begreifen konnte, flutete ihm schon die Vorfreude des Rudels entgegen: In ihrem Kreis würde heute Nacht ein Wolf zu seinem großen Sprung ansetzen. Die Begeisterung wallte auf, riss auch jene mit, die sich dem Jagdwillen des Dämons für gewöhnlich nicht leichtfertig unterordneten.
David selbst hatte einige Jagdgeschichten gehört, denn in der engen Gemeinsamkeit des Rudels erzählte man sich viel und gerne. Aber er war noch nie Zeuge geworden, kannte bislang nur die grauenhaften Überbleibsel vom nächsten Morgen, wenn Hagen sich ausgetobt hatte. In diesem Rudel war das Ritual zu einem eifrig gehüteten Privileg geworden, dessen Erleben der Anführer nur noch mit einigen Auserwählten teilte. Nun, David hatte während seiner Zeit mit Convinius erlebt, was es bedeutete, wenn der Dämon freigelassen wurde - auf derartige Privilegien konnte er gut und gern verzichten. Sein Wolf sehnte sich zwar nach der Jagd und einem gelegentlichen Kräftemessen mit seinesgleichen, aber Sehnsucht nach Blut und Tod hatte er bislang noch nicht offenbart.
Während David versuchte, sich aus Leugs Griff zu winden, schaute er hilfesuchend zu Nathanel. Der hagere Mann erwiderte seinen Blick auch unumwunden, doch darin war nichts als distanzierte Kälte zu finden. Es gelang David kaum, seine Enttäuschung zu verbergen, und als er dicht neben sich Hagens Lachen hörte, wagte er es nicht, ihn anzusehen.
Hagen schien seine Verletztheit noch vertiefen zu wollen: »Bedank dich bei Nathanel hierfür. Er war der Meinung, dass bei dir Eile geboten sei.« Die Stimme war zwar gesenkt, dennoch war die Gehässigkeit herauszuhören.
Einen Herzschlag lang spielte David mit dem Gedanken, Hagen anzugreifen, sich jetzt schon für das zu rächen, was ihm gleich angetan werden würde. Doch er riss sich zusammen. Leug in seinem Rücken wusste, was er tat, so dass er bei dem Versuch eines Angriffs nicht weit käme.Vermutlich lieferte er Hagen mit seiner Unbeherrschtheit auch noch einen Grund zum Spott.
Plötzlich schwenkte die Aufmerksamkeit des Rudels um, und auch David verspürte unvermittelt ein Zerren, als würde er von einer Leine gezogen werden. Der Auslöser: Ein lädiert aussehender Mathol bahnte sich seinen Weg durch die Menge und führte die junge Frau an seiner Seite, die David ins Palais gebracht hatte. Sie wirkte betäubt, doch nicht, als habe man ihr Drogen eingeflößt, sondern vielmehr, als habe sich ihr Geist vor lauter Entsetzen hinter eine Mauer zurückgezogen. Zwar hielt Mathol sie grob am Arm gepackt, aber sie torkelte, ohne Widerstand zu leisten, neben ihm her.
Beim Anblick ihres gräulich schimmernden Gesichtes, das vom strähnigen Haar umrahmt war, und dem Kleid, das um ihren Körper schlackerte, wurde David speiübel. Wie eine Feuerschneise fraß sich ihre Angst zu ihm durch, traf ihn so hart, dass er kaum zwischen ihren und den eigenen Empfindungen unterscheiden konnte. Mathol trieb sie bis vor den riesigen Tisch, packte sie bei den Hüften und hievte sie hinauf. Dort blieb sie einfach sitzen, genau so, wie er sie abgesetzt hatte.Aus dem Rudel erklang spärlich unterdrücktes Aufstöhnen, ein nur durch den Instinkt geleitetes Bedürfnis, seine Triebe nicht länger im Zaum zu halten, sondern vorzustürmen und zu jagen. Aber niemand wagte es, sich derartig gehenzulassen.
Hagen, dessen gieriger Blick ebenfalls auf die Frau geheftet war, trat nun einen Schritt zurück und breitete einladend die Arme aus. Ein Zeremonienmeister, der das Büfett eröffnete. »Nun, David, was sagst du zu meinem Geschenk? Amelia hat sie extra für dich ausgesucht, sie meinte, ihr Aussehen würde dich anspornen. Zierlich, blondes Haar … Irgendwie habe ich das Gefühl, das Mädchen schon einmal gesehen zu haben.« Er lachte trocken, und ein paar andere stimmten mit ein. »Der Tradition nach ist sie natürlich deine Beute. Schließlich hast du sie hierhergebracht. Also, greif zu.« Hagen grinste anzüglich.
Den Schmerz in seiner Schulter ignorierend, lehnte David sich so weit vor, wie Leugs Griff es zuließ. »Du kannst mich nicht dazu zwingen«, sagte er leise. Dabei
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