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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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noch nie erlebt. Das schwarze Poloshirt, das sonst elegant mit ihrer charakteristisch blassen Haut und dem weißen Haar kontrastierte, betonte heute nur ihre graue Gesichtsfarbe und die dunklen Augenringe. Die Brillengläser vergrößerten ihre blassblauen Augen, die von tiefen Falten umgeben waren.
    Auf einmal befiel Tell die Gewissheit, dass das, was sie ihm sagen wollte, nichts mit seiner kurzfristigen Vermischung von Berufs- und Privatleben zu tun hatte. Ich kreise auch bloß um mich selbst. Warum hatte er sie nie gefragt, ob sie verheiratet war? Warum hatte er nicht mal darüber nachgedacht?
    Er sehnte sich nach einer Zigarette und bereute, dass er nicht seine eigenen mitgebracht hatte. Wie auf Bestellung schob sie ihm ihre Schachtel hin. »Entschuldige. Ich bin so in Gedanken.«
    Sie drückte ihre halbgerauchte Zigarette aus und zog eine Grimasse, die weit entfernt war von ihrem behaglichen Seufzer beim ersten Zug. »Puh.«
    Sie wedelte den Rauch beiseite. Tell überlegte, ob er seine Zigarette lieber wieder ausmachen sollte.
    »Mein Arzt heißt Björnberg«, begann sie und lehnte sich zurück. »Er ist so alt wie ich, und mein Mann und ich gehen seit Jahren zu ihm. Neulich sagte er, dass mich diese Dinger hier umbringen. Im Grunde wusste man das ja die ganze Zeit. Nur nicht, dass es schon so nahe war.«
    Sie zeigte auf die Schachtel. »Es hilft nicht allzu viel, dass ich mich auf diesen Kompromiss mit den Light-Zigaretten eingelassen habe. Erst dachte ich, am besten wechsle ich einfach den Arzt.«
    Sie nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Verstehst du? Ich hatte ja nie auch nur eine Erkältung. Ab und zu haben wir in seiner Sprechstunde einfach nur nett geplaudert. Meine Kinder sind auch bei ihm, und er fragt mich jedes Mal, wie es ihnen geht. Er erinnert sich sogar an die Namen sämtlicher Enkelkinder. Furchtbar nett. Und dann kommt er mir mit so was! Ich bin so wütend geworden!«
    Ihre Stimme wurde brüchig und sie räusperte sich. »Ich dachte nur, du solltest es wissen.«
    Allmählich dämmerte Tell, was seine Chefin ihm zu erzählen versuchte. Ohne ihre Brille sah sie seltsam schutzlos aus, fast bittend, und eine Sekunde glaubte er sogar, die Angst in ihrem Blick lesen zu können. Er wollte etwas sagen, um ihr die Situation zu erleichtern, wollte alle möglichen Fragen stellen und ihr sagen, dass das letzte Wort bestimmt nicht gesprochen war, aber andererseits kannte er Ann-Christine Östergren gut genug, um einfach den Mund zu halten und auf die Fortsetzung zu warten. Wenn sie nicht sicher wäre, würde sie es nie zur Sprache bringen.
    Sie zeigte auf die Zigarette in seiner Hand. »Wo wir gerade vom Rauchen reden: Die ersten zehn Jahre haben mein Mann und ich beide geraucht. Dann hat er aufgehört und mich das nächste Jahrzehnt auf diese nervige Art belehrt, die nur Ex-Raucher an sich haben. Und dann hat er auch noch recht behalten.«
    Sie lächelte traurig. »Auf dem Heimweg vom Arzt hörte ich schon sein: ›Was hab ich dir gesagt?‹ Erst nach vier Tagen konnte ich mich überwinden, es ihm zu erzählen.«
    »Was hat er gesagt?«, würgte Tell hervor. Er war erleichtert, dass sich das Gespräch nun um die Unzulänglichkeiten eines anderen drehte.
    »Er hat geweint und war furchtbar wütend. Auf mich, weil ich es ihm nicht gleich gesagt hatte. Und weil ich tatsächlich gewagt hatte, zu denken, er könnte mir die Schuld geben. Aber ich glaube, vor allem deswegen, weil er so viel geplant hatte, wenn wir endlich in Pension gehen. Zumindest freut er sich darauf, aus dem Berufsleben auszuscheiden.«
    »Und du?«
    Sie zog langsam die Schultern hoch und verharrte so. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht. Irgendwie ist es ja wirklich Ironie des Schicksals. Eigentlich wusste ich nie so recht, was ich von Gustavs Plänen halten sollte. Reisen in alle Winkel der Erde, die Hobbys, die wir pflegen sollten. Du weißt schon. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass ich da eigentlich gar nicht mitmachen will. Als würde ich bloß Interesse heucheln, damit er nicht enttäuscht ist.«
    Sie stand auf und zog die Balkontür zu, ohne Tell aus den Augen zu lassen. »Als ob ich ihm das schuldig wäre, nachdem ich ihn so viele Jahre hatte warten lassen. Immer kam mein Job an erster Stelle. Vor ihm. Vor den Kindern. Als er erkannte, dass Schimpfen und Jammern keinen Erfolg haben würden, drehte es sich nur um später: Später, wenn wir Zeit haben.«
    »Ist es Krebs?«, fragte Tell leise.
    Sie nickte.

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