Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
Vom Netzwerk:
drehte.
    In Dr. Snells Augen konnte Sebastian sehen, dass der Arzt sehr wohl wusste, was das »vorübergehende, sehr bedauerliche, unerklärliche und absolut unverzeihliche Versagen der Geräte« verursacht hatte. Fast tat er ihm schon leid, wie er in sich hineinmurmelte, dass auch die Technik nicht immer hundertprozentig funktionieren könne, und dass Mys Körper sich aus freien Stücken entschieden habe, seine künstlich aufrechterhaltene Existenz aufzugeben. Als ob My in ihrem Zustand noch eine Wahl hätte treffen können. Idiotisch. Vor allem, da Snell selbst ja damit argumentiert hatte, die Geräte abschalten zu lassen, weil My nie wieder etwas denken oder fühlen könnte. Es hatte geheißen, dass die Entscheidung bei den Angehörigen liege, aber der Arzt hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie er darüber dachte. Solveig sollte My ihr Leben auf würdige Weise abschließen lassen.
    Zwar war Sebastian dankbar, dass Dr. Snell ihm Vorwürfe ersparte, aber er war stellvertretend für seine Mutter etwas beleidigt, dass die Weißkittel sie wie Idioten behandelten. Als ob solche Maschinen durch einen lächerlichen Stromausfall gefährdet werden könnten!
    In Gesellschaft anderer Menschen – zum Beispiel in den unter Aufsicht geführten Familiensitzungen – senkte Solveig die Lider, wenn sie sich an ihren Sohn wenden musste. Nach Mys Tod hatten die beiden stillschweigend beschlossen, lieber nicht allein miteinander zu bleiben.
    Und jetzt lebte er von einem Tag zum nächsten. Die rehäugige Amina kam jeden Tag zwei Stunden und half ihm, »seinen Alltag zu strukturieren«. Dabei tat sie im Grunde nichts anderes, als seine Wäsche zu waschen, seinen Dreck wegzuräumen, einzukaufen und zu kochen. Als wäre er mit einem Riesenschritt vom Jugendlichen zum Greis geworden, der täglich von seiner Pflegerin besucht wurde.
    Er spürte, dass sie auch die Auflage hatte, den Kontakt mit ihm zu suchen. Nur zu oft hatte er schon diese vorsichtig forschenden Fragen besorgter Erwachsener gehört, die sich für ihn verantwortlich fühlten. Damit konnte er leben, er entschied einfach, was er von sich zeigen wollte, und das war’s. Das galt sowohl für Amina als auch für die Sozialarbeiterin. Wie immer lavierte er sich mit spielerischer Leichtigkeit zwischen ihren Behauptungen und Fragen hindurch. Von ihm aus konnten sie in sein Zuhause marschieren und tun, was sie tun mussten, um sich besser zu fühlen, ihre Fragen stellen und seine Antworten glauben, aber an sein Innerstes kamen sie nicht heran.
    Immerhin war Amina ganz hübsch. Und ihr reichte es schon, wenn er sich ruhig und gesammelt gab und ihr mit tränennassen Augen ein paar Phrasen über seine Seelenqualen servierte. Das befriedigte ihr aufgeblasenes Ego.
    Amina versuchte, erfahren zu wirken, wenn sie ihm etwas erklärte. Allerdings konnte er sich die Frage nicht verkneifen, wie lange sie diesen Job denn schon mache, nur um zu sehen, wie sie ganz rote Ohren bekam und zugeben musste, dass sie noch nicht mal ihre Abschlussprüfung abgelegt hatte.
    Seine Schmutzwäsche war ihr Nebenjob. Der Gedanke gefiel ihm.
    Um ihren angeschlagenen Stolz zu heilen, vertraute er ihr an, dass ihm vor dem Tag graute, an dem Solveig aus dem Krankenhaus nach Hause käme. Da wollte er nicht alleine sein. Amina versprach, mit Solveigs Arzt bezüglich der Entlassung in Kontakt zu bleiben und dass sie ihm Händchen halten würde, wenn seine Mutter entlassen wurde. Er sah förmlich, wie sie in ihrer imaginären Krankenakte notierte: »Kontakt hergestellt.«
    »Du bist stark, Sebastian«, verkündete sie mit dem leicht verlegenen Tonfall eines Menschen, der noch nicht so geübt darin war, anderen Menschen zu erklären, wie sie waren.
    Sie teilte ihm dann auch mit, dass seine Mutter aus ihrem Dämmerzustand erwacht war. Eines Tages hatte sie sich senkrecht im Bett aufgesetzt – als würde sie sich aus den Fesseln der Psychopharmaka befreien – und hatte festgestellt, dass sie weder Trauer noch Freude spürte. Schon eine geraume Weile war sie durch starke Beruhigungstabletten immer mehr abgestumpft, aber das sollte jetzt ein Ende haben.
    Der Zweck dieser Medikamente war sicher der gewesen, sie gegen ihre Trauer abzuschirmen, die offensichtlich zu groß für sie war. Die Ärzte fanden es zwar reichlich früh, aber Solveig bestand darauf, sich ihren Dämonen zu stellen. So drückte sie sich aus.
    Amina klang, als hielte sie diese Kehrtwendung für positiv.
    Sebastian tat sein Bestes, um die Erwartung zu

Weitere Kostenlose Bücher