Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
Vom Netzwerk:
»Schon weit fortgeschritten. Björnberg erwähnte eine Chemotherapie, hatte aber den Mut zuzugeben, dass die Erfolgschancen minimal sind.«
    Tell hörte sich selbst atmen. »Das ist schrecklich.«
    Sie nickte.
    Die Floskeln stiegen ihm in den Hals wie Erbrochenes, und er hasste sich dafür, dass kein Wort von ihm helfen konnte. »Wenn ich irgendetwas tun kann ...«, entschlüpfte es ihm, und so sehr er sich wünschte, wirklich etwas für sie tun zu können, so widerlich war ihm die Abgedroschenheit dieser Phrase.
    Sie richtete den Blick aus dem Fenster. Über den Hausdächern hingen dunkle Wolken und schienen nur auf die Gelegenheit zu warten, aufzureißen und die Stadt zu überschwemmen. »In all den Jahren habe ich ... Also, vielleicht waren mir Gustavs Gefühle nicht gerade egal, aber ich habe trotzdem nicht so viel Rücksicht auf sie genommen, dass ich meine Prioritäten geändert hätte. Ich war maßlos egoistisch. Und jetzt kann ich nur noch an seine Gefühle denken ... Aber irgendwie muss ich immer noch meinen alten Verhaltensmustern folgen.«
    Sie schwieg so lange, dass Tell das Gefühl hatte, sie hätte ihn vergessen. Doch dann holte sie tief Luft und fuhr fort: »Ich komme mir vor wie die größte Verräterin. Wie kann so was nur passieren, Christian? Mit der Liebe, meine ich? Wie kann es sein, dass man sich entscheidet, sein Leben mit jemand zu teilen, den man liebt – dessen Auffassung vom Leben aber immer im Gegensatz zur eigenen steht?«
    »Wahrscheinlich ist es einfach so, wie du sagst«, murmelte Tell, obwohl ihm klar war, dass ihre Frage rein rhetorisch gewesen war. »Mit der Liebe.« Darüber weiß ich auch nicht viel mehr .
    Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt hält er es für selbstverständlich, dass ich die Krankschreibung annehme und meine ... letzte Zeit zu Hause verbringe. Aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt mehr denn je das Recht habe, egoistisch zu sein. Noch weniger als jeder andere kann ich mir vorstellen, meine Arbeit aufzugeben und nur noch zu Hause zu sitzen, um auf den Tod zu warten. Ich glaube, daran klammere ich mich, bis sie mich hier rausschleifen.«
    Sie zuckten zusammen, als es klopfte. Karin Beckman steckte den Kopf zur Tür herein, war aber sensibel genug, die gedrückte Stimmung zu erfassen. Sie entschuldigte sich sofort und wollte die Tür schon wieder zuziehen, als Ann-Christine Östergren sie hereinwinkte. »Ist schon okay. Ich habe Zeit.«
    »Also, eigentlich wollte ich ein paar Worte mit Tell wechseln.«
    Sie trat ins Zimmer. »Die Kriminaltechniker haben sich gemeldet. Es geht um den Jeep aus Ulricehamn. Die Abnutzung der Reifen stimmt mit den Spuren vom Tatort überein. Außerdem haben sie sechs verschiedene Fingerabdrücke im Wageninnern gefunden und Blutspuren.«
    Tell musste all seine Willenskraft aufbieten, um wieder in rationale Gedankengänge zurückzufinden. »Okay. Gleiche die Fingerabdrücke mit der Datenbank ab, vielleicht gehören sie ja einem alten Bekannten. Danach setz dich mit dem Autoverleih in Verbindung, damit sie dir die Namen der anderen Mieter geben, und dann das übliche Ausschlussverfahren – bestell die Leute her und nimm ihnen Fingerabdrücke ab.«
    Karin Beckman nickte ungeduldig. Wahrscheinlich schätzte sie es nicht besonders, dass Tell sie vor der Chefin über die Grundlagen der Polizeiarbeit belehrte. Aber er konnte nicht anders, er musste seine eigene Stimme Dinge sagen hören, die er noch unter Kontrolle hatte.
    Karin Beckman schnaubte gereizt. Sie zog sich zurück, als das Handy an Ann-Christine Östergrens Gürtel klingelte und diese mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass sie das Gespräch annehmen musste. Tell nickte und stand ebenfalls auf. Seine Beine waren so schwer, dass er sie kaum vom Boden heben konnte.
    Es waren genau vier Schritte bis zur Tür.

44
    1995
    Seine angepasste Fassade kam ihm bei dem hübschen Mädchen zugute, das ihm im Haushalt helfen sollte. Nach Aussage seines Sozialarbeiters hatte er Anspruch auf Hilfe, solange seine Mutter in der Klapse war. Und dort war sie nun schon seit Mys mysteriösem Tod. Mysteriös war der Tod seiner Schwester allerdings nur für einen ausgewachsenen Trottel. Der Arzt hätte einen Oscar verdient für seine schauspielerische Einlage, als er ihnen mitteilte, dass die Maschinen, die My noch am Leben gehalten hatten, für eine gewisse Zeit ausgeschaltet gewesen waren – vom letzten Besuch der Nachtschwester bis zum Auftauchen der Schwester, die am Morgen die erste Runde

Weitere Kostenlose Bücher