Wintermord
meinen, ob sie unter Drogen steht? Ja, ziemlich oft sogar. Die meisten von den Frauen, die hier wohnen, sind drogensüchtig. Wir haben keine Regeln wie andere Einrichtungen, dass sie nicht reindürfen, wenn sie was genommen haben. Damit würden wir ihnen ja nicht helfen. Also ... Ja, sie ist oft in ganz schön mieser Verfassung, aber sie stellt dann nichts an. Jedenfalls nicht hier.«
Karin Beckman nickte. Hinter der Tür war es noch immer still. Trotz des roten Lämpchens klopfte sie laut und öffnete die Tür.
Margareta Skåner hob verdutzt den Blick von ihrem polierten Schreibtisch mit den geschwungenen Beinen. »Entschuldigung?«
»Karin Beckman von der Polizei. Wir haben telefoniert.«
Sandra murmelte, dass sie wieder zum Empfang zurückmüsse. Ihre Chefin nickte ihr kurz zu, dann wandte sie sich an ihren Besuch: »Ja, natürlich, wegen Susanne Jensen. Sie haben gehört, dass sie wieder verschwunden ist? Manchmal haben unsere Gäste einen siebten Sinn, was die Hüter des Gesetzes angeht ... Vielleicht kann ich Ihnen ja irgendwie weiterhelfen?«
Gerade als die Polizistin auf einem Besucherstuhl Platz genommen hatte, klopfe es erneut. Sandras Gesicht erschien in der Türöffnung. »Entschuldigen Sie, aber ich wollte nur Bescheid sagen, dass Sussie wieder zurück ist. Sie ist in der Küche.«
»Ich ... hab gleich noch was Wichtiges zu erledigen«, beeilte sich Frau Skåner zu bemerken, als sie sah, dass die Polizistin aufstehen wollte. »Vielleicht können wir kurz sprechen, bevor Sie zu Susanne gehen.«
Karin Beckman zögerte. »Ich glaube, es wäre besser, wenn ich mir Susanne gleich schnappe. Wie Sie selbst gesagt haben ... Polizisten wittert man hier in Sekundenschnelle.«
Durch die Glasscheibe in der Tür konnte Karin Beckman erkennen, dass die Küche so groß war wie die eines Restaurants. Ein Zettel auf einem Sparschwein verkündete, dass die Lasagne zehn Kronen kostete. An einem langen Tisch saßen bereits drei Frauen und aßen. Eine las dazu die Tageszeitung, wobei sie wütende Selbstgespräche führte.
»Sussie ist die mit dem kurzen Haar und dem roten Pulli.« Sandra ergriff Karin Beckmans Arm. »Meinen Sie, Sie könnten ein bisschen ... vorsichtig vorgehen? Sie verstehen schon – ich glaube, das Gute an diesem Heim ist, dass sich die Frauen hier sicher fühlen.«
Karin Beckman lächelte. »Ich verspreche Ihnen, so behutsam wie möglich vorzugehen.«
Als sie sich vorstellte, wurde ihr klar, dass Susanne Jensen vom Tod ihres Bruders wahrscheinlich noch nichts wusste. Karin Beckman berührte sie am Arm und bat sie, mit ihr an einen Ort zu gehen, wo sie ungestört reden konnten, doch Sussie zog ruckartig ihren Arm zurück. Um eine Szene zu vermeiden, folgte sie ihr dann aber verdrossen in das Zimmer, in dem sie später schlafen sollte.
Es war klein und nur mit einem Stockbett und einem Schreibtisch möbliert. Die weißen Wände und die hohen Fenster ließen das Zimmer jedoch hell und geräumig aussehen. Auch die Betten waren weiß bezogen, und Karin Beckman befiel eine irrsinnige Lust, sich auf dem unteren Bett auszustrecken und einfach nur zu schlafen.
Susanne Jensen saß im Schneidersitz auf dem Bettüberwurf und starrte auf ihre Socken. Äußerlich glich sie ihrem Bruder kaum, zumindest wenn man nach Olofs Foto ging, das im Präsidium an der Tafel des Besprechungszimmers hing. Er war dunkelhaarig, sie blond, vielleicht hatten sie eine gewisse Schmächtigkeit gemeinsam. Susanne Jensens Gesicht war fast durchscheinend, und unter ihren Augen zeichneten sich blauviolette Ringe ab, als hätte sie ihr Leben lang schlecht geschlafen.
»Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Bruder Olof tot ist«, begann Karin Beckman mit leiser Stimme. Instinktiv versuchte sie, ihre Hand tröstend auf Susanne Jensens Knie zu legen. Die stieß sie weg, verriet jedoch mit keiner Miene, ob sie die Bedeutung dieser Worte verstanden hatte.
»Es tut mir sehr leid.«
Einen Moment konnte Karin Beckman den Hauch eines höhnischen Lächelns bei ihrem Gegenüber erkennen.
Zögernd fuhr sie fort: »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, aber ich bitte Sie, uns zu helfen, den Mörder Ihres Bruders zu fassen. Ich habe keine Ahnung, inwiefern Sie Kontakt hatten, nachdem Sie zu Pflegeeltern vermittelt worden waren, und von Olofs Leben als Jugendlichem oder Erwachsenem weiß ich auch so gut wie nichts. Vielleicht könnten Sie nachdenken, ob er Feinde hatte, irgendjemand, der ihm
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