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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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ihm eine Hand aufs Knie. »Leo hat das immer schon gewollt, nicht wahr? Er hat die Stelle nicht nur angenommen, weil sie gut bezahlt war.« Ihre Stimme klang angestrengt, und mir wurde klar, wie umfassend Leos Verrat für sie sein musste, denn alles, was sie je in ihm gesehen hatte, stellte sich nun als Lüge heraus. Auch wenn er nicht ihre große Liebe gewesen war, hatte sie ihn dennoch geliebt.
    Wieder ließ Erik den Kopf hängen, und als er nun erneut sprach, hatte ich den Eindruck, dass er wirklich bedauerte, was er zu sagen hatte. »Ja. Er hat mir schon damals, als wir anfingen, gesagt, dass er Vampir sein wollte. Er wollte die Macht und das Geld und den Einfluss, der damit einhergeht. Dann lernte er dich kennen und sagte, er wolle erst selbst Vampir werden und dann dich ebenfalls rüberholen.« Er hustete und fügte hinzu: »Rio, er liebt dich wirklich … Auf seine Art liebt er dich.«
    »Du meinst, er will mich besitzen! Es kümmert ihn doch offensichtlich kein bisschen, was ich denke. Ich will mich beherrschen. Ich wette, er … Du hast gesagt, er tobt sich in Geoffreys Stall aus. Du meinst doch nicht nur, dass er von den Bluthuren trinkt. Er vögelt jede, die er kriegen kann, habe ich recht?«
    Nach einem kleinen Moment nickte Erik. »Ja. Das trifft es ungefähr.«
    Ich winkte den anderen, und wir entfernten uns ein Stück, damit er uns nicht hören konnte; Yummanii hatten kein außergewöhnliches Gehör. Sobald wir uns in einer Ecke der Halle versammelt hatten, warf ich einen Blick zurück zu unserem Gefangenen.
    »Also, was sollen wir tun? Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder wir töten ihn, oder wir schicken ihn zurück. Wenn wir ihn gehen lassen, würde ich zehn zu eins wetten, dass er abzuhauen versucht. Geoffrey und Leo werden ihn umbringen.« Zum ersten Mal wünschte ich mir tatsächlich, dass Lannan wach gewesen wäre. Die Meinung eines Vampirs wäre hilfreich gewesen. »Wir könnten ihn auch hierbehalten, bis Lannan wieder aufwacht, und ihn fragen, was wir tun sollen, aber Geoffrey würde begreifen, dass etwas nicht stimmt.«
    »Nein, wird er nicht«, warf Kaylin ein. »Bis heute Abend wird er überhaupt keine Ahnung haben, wie diese Mission ausgegangen ist, da Geoffrey – und Leo auch – gerade schlafen. Ihnen wird klarwerden, dass etwas vor sich geht, wenn sie aufwachen und feststellen, dass Erik und seine Kumpels nicht zurückgekommen sind, aber solange es Tag ist, können sie keine verdammte Kleinigkeit tun. Ich würde sagen, dass wir ihn hierbehalten und tatsächlich Lannan entscheiden lassen.«
    Wir kehrten zu dem gefesselten Tagesboten zurück. »Du kennst Lannan Altos also? Wenn wir ihn fragen, was wir mit dir machen sollen, was, denkst du, wird er uns antworten?«
    Erik wurde noch etwas blasser und zerrte an seinen Fesseln. »Lannan Altos ist gruselig. Ihr wollt mich ihm überlassen? Warum bringt ihr mich nicht einfach um?«
    Langsam ging mir die Geduld aus. Ich tippte ihm auf die Schulter. »Sag mir eins, Erik. Wolltest du auch immer schon Vampir werden? Warum bist du überhaupt Tagesbote geworden?«
    Auf seine Antwort war ich nicht gefasst. »Meine Mutter war krank, und wir konnten uns die teuren Medikamente nicht leisten. Ich schaffte es nicht, drei Jobs gleichzeitig zu erledigen, sie so unter Schmerzmittel zu stellen, um ihr das letzte Jahr erträglich zu machen, und abends noch für sie da zu sein. Also fragte ich Geoffrey, ob ich als Tagesbote für ihn arbeiten könne. Ich rackerte mich ab und verdiente bald ziemlich gut. Als meine Mutter dann starb, erkannte ich, dass ich nicht einfach kündigen konnte, also blieb ich.«
    »Hast du eine Freundin, Erik?«
    Rhiannon antwortete an seiner Stelle. »Ich habe ihn, glaube ich, noch nie zweimal mit derselben gesehen. Stimmt’s nicht?«
    »Ich halte es nicht für schlau, mich zu binden. Wenn man sich verliebt und jemanden trifft, der einem wirklich wichtig ist, dann haben Geoffreys Leute etwas, mit dem sie dich unter Druck setzen können. Also bin ich bisher Single geblieben. Lebe für den Tag und genieße, was du kriegen kannst. Wenn Geoffrey einmal wütend auf mich wird, dann muss wenigstens nur ich dafür büßen.«
    Wütend, weil ich trotz allem, was geschehen war, anfing, ihn zu mögen, winkte ich Kaylin. »Bring ihn in einen anderen Raum und sorg dafür, dass er warm genug eingehüllt ist. Und bring ihm was zu essen.«
    Als Kaylin und Chatter den Stuhl anhoben und Erik aus der Halle trugen, sah ich zur Uhr. Es war fast halb zwei.

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