Winternacht
erschöpft, um noch geradeaus denken zu können.
Wieder streckte Grieve die Hand nach mir aus, aber diesmal wehrte ich ihn ab. »Es reicht. Lannan, bitte. Ich schlucke hier meinen Stolz. Bitte lass es einfach gut sein. Du bekommst den monatlichen Blutzoll, zu dem ich mich vertraglich verpflichtet habe. Aber um einer gewissen Harmonie willen – mach halblang.« Ich warf Grieve einen knappen Blick zu. »Und von dir erbitte ich dasselbe. Es ist wunderbar, dass du mich beschützen willst, aber unser aller Leben steht hier auf dem Spiel.«
Lannans Miene war kalt, aber nach einem kurzen Augenblick ergriff er wieder das Wort. »Ich biete euch allen den Schutz meines Anwesens. Ich verlange es nicht von euch, aber du, Cicely, wirst mitkommen, denn dort bist du sicherer. Geoffrey wird den Affront gegen ihn nicht einfach so hinnehmen und nach einem Sündenbock suchen, und du kannst darauf wetten, dass du und ich Hauptobjekte seiner Feindseligkeiten sein werden.«
Er blickte noch einmal in die Runde, wandte sich dann um und ging auf die Tür zu. »Ich kehre in die Villa zurück, um das Chaos, das Geoffrey bei seiner übereilten Flucht zurückgelassen hat, zu beseitigen.« Einen Moment lang glaubte ich, einen Hauch Bedauern auf seinem Gesicht zu erkennen. »Ich habe keinerlei Ambitionen, Regent zu sein, aber ich tue, was die Königin anordnet. Meine Schwester wird morgen Nacht jemanden schicken, der deine Sachen holt, Cicely. Wenn ihr anderen beschließt, mein Angebot auszuschlagen, dann sei es so. Doch was Cicely angeht, handelt es sich um einen Befehl – der vertraglich untermauert ist. Morgen Abend um neun wirst du erscheinen!« Und damit verschwand Lannan aus der Tür.
Ich musterte die anderen. »Tja, jetzt ist Lannan also Regent, und Leo und Geoffrey haben sich zusammengetan und wollen uns an den Kragen. So ungern ich es zugebe – Lannan hat recht. In der Villa sind wir sicherer. Jedenfalls vor Myst.«
Grieve räusperte sich. Ich war sicher, dass er protestieren würde, aber er überraschte mich. »Die Vampire haben die besseren Mittel, um uns zu beschützen. Das Lager war ein gutes Versteck, aber wir brauchen eine echte Einsatzzentrale.«
Das war alles, was ich hören musste. »Also gehen wir. Doch zuerst müssen wir Lainules Herzstein finden. Falls uns das gelingt, mag alles anders werden. Hier handelt es sich schließlich nicht um ein Spiel mit starren Regeln. Ständig ändern sich die Bedingungen, und wir müssen unbedingt flexibel bleiben und schnell reagieren.«
Mein Vater, der darauf bestanden hatte, bei mir zu bleiben, obwohl ich ihn gebeten hatte, an Lainules Seite zu wachen, nickte. »Falls du in die Vampirvilla ziehst, dann kann ich zu Lainule gehen – wo ich im Augenblick wahrlich hingehöre. Doch ich werde dich nicht schutzlos hier zurücklassen.«
Es machte mich nicht glücklich, dass Lainule auf ihn verzichten musste, weil er meinte, mich schützen zu müssen. »Ich tue es, keine Sorge. Du gehörst an ihre Seite.«
Rhiannon stand auf. »Es ist spät. Wir hatten alle einen harten Tag. Lasst uns schlafen. Wenn wir morgen früh losziehen wollen, um den Herzstein zu suchen, müssen wir ausgeruht sein.«
»Du wirst also mitgehen?« Ich betrachtete sie prüfend. Die stille Kraft, die meine Cousine in den vergangenen Tagen offenbart hatte, war bewundernswert.
»Natürlich. Weißt du noch? Wir sind Feuer und Eis, Bernstein und Jet. Wir sind Zwillingscousinen. Wohin du gehst, gehe ich auch.« Und damit verschwand sie in Richtung Schlafzimmer. Chatter sah ihr hinterher, und die Sehnsucht in seinem Blick war deutlich zu erkennen.
Peyton und Luna erhoben sich ebenfalls, und nachdem sie und ich den Jungs gute Nacht gewünscht hatten, gingen wir meiner Cousine nach. Um das Lagerhaus wehte ein heulender Wind, und ich schloss die Augen, als ich mir erlaubte, an morgen zu denken.
Was immer vor uns lag, es konnte nicht viel schlimmer sein als das, was wir bereits erlebt hatten. Und vielleicht – nur vielleicht – würden wir dadurch wieder eine stärkere Position gewinnen, anstatt in einer angeschlagenen Defensive verharren zu müssen.
9. Kapitel
S obald der Tag anbrach und wir sicher sein konnten, dass sich die meisten Schattenjäger im komatösen Dämmerzustand befanden, machten wir uns bereit. Am liebsten wären wir alle gemeinsam aufgebrochen, aber wir konnten schlecht in einer derart großen Gruppe durch den Wald poltern. Also würden Rhiannon, Chatter, Grieve und ich gehen. Auch Kaylin sollte
Weitere Kostenlose Bücher