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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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ab. Das Gehölz mit den Koniferen, deren Zweige durch ihre Schneelast tief herabhingen, lag unnatürlich still da. Ich lauschte auf ein Anzeichen von Leben, nach einem Vogel oder einem anderen Tier, das keinen Winterschlaf hielt, aber nichts war zu hören, und der Schnee dämpfte auch unsere Geräusche zu einem unheimlichen Wispern.
    Der ewige Winter … Fimbulvetr. Man sagte, er würde der Anfang von Ragnarök sein, dem Niedergang der Götter. Wenn ich mich umsah, fiel es mir nicht schwer, daran zu glauben.
    Ich winkte den anderen zu, mir zu folgen, und begann, einen Pfad in den tiefen Schnee zu treten. Zuerst war es schwierig voranzukommen, aber dann kamen wir an eine Stelle, an der der Schnee gut einen Meter hoch und die oberste Schicht vereist war. Diese Schicht schien fest genug, um darauf zu gehen, wenn wir vorsichtig waren, also zog ich mich hinauf und setzte mich in Bewegung. Wrath hatte uns eine grobe Karte gezeichnet, als wir von Lainule zurückgekehrt waren.
    Über eine Stunde konnten wir unbehelligt über die eisige Oberfläche wandern, ohne die Spur eines Schattenjägers zu sehen, bis wir an den Rand einer Schlucht kamen, auf deren Grund ein zugefrorener Bach zu sehen war. Laut unserer Karte mussten wir hinunter, dann dem Fluss etwas über zwei Meilen folgen, bis wir an eine offene Lichtung kamen, und uns dort nach rechts wenden.
    Der Abstieg war steil, und obwohl der Hang schneebedeckt war, wusste ich nur zu gut, was darunter verborgen sein konnte: Brombeersträucher mit bösen, scharfen Dornen, Mauselöcher als Stolperfallen und spiegelglatte Felsstücke, auf denen man ausrutschen konnte.
    Ich warf meinen Gefährten einen Blick zu, trat zur Seite und ließ Grieve und Chatter den Vortritt. Dies war ihr Wald; sie kannten ihn wie ihre Westentasche. Rhiannon und ich schlossen uns ihnen an, und Kaylin bildete das Schlusslicht.
    Grieve ließ den Kopf zurückfallen und sog die eiskalte Luft in seine Lungen. Ein Ausdruck von Kummer huschte über sein Gesicht, aber er sagte nichts, sondern trat leichtfüßig über die Kante in die Schlucht. Schnee konnte ihm nichts anhaben, denn er hatte Mysts Blut in den Adern. Obwohl er nicht in den Indigo-Hof hineingeboren worden war, hatte er von ihr getrunken und dadurch genug von ihren Kräften in sich aufgenommen, um die Kälte auszuhalten, die sie wie einen Umhang trug.
    Chatter folgte so anmutig wie Grieve, allerdings ein wenig langsamer.
    Nun ich. Ich setzte mich in Bewegung, blieb aber schon nach einem Schritt verunsichert stehen und sah mich um. Ich brauchte etwas, um mein Gleichgewicht besser halten zu können. Chatter warf mir einen Blick zu, erriet offenbar, was mir durch den Kopf ging, und flüsterte Grieve etwas zu, der mir bedeutete, mich nicht wegzubewegen. Ich wartete, während die zwei hinabjagten und ins Unterholz abtauchten und schließlich mit drei stabilen, halbwegs geraden Ästen für Rhiannon, Kaylin und mich zurückkehrten. Mit dieser Stütze wagte ich den nächsten Schritt, dann den nächsten.
    Der Hang war steil, und unser Abstieg ging langsam und holprig vonstatten. Mehr als einmal blieb ich in der Vegetation unter der Schneedecke hängen und stolperte, doch langsam, aber sicher bahnte ich mir meinen Weg hinab.
    Einmal stürzte ich auf Hände und Knie und schrammte mir das Kinn auf, als ich auf einen faustgroßen Stein plumpste. Chatter half mir auf. Als Grieve mein schmerzverzerrtes Gesicht sah, schien er etwas sagen zu wollen, aber ich wischte mir nur das Blut vom Kinn und schüttelte den Kopf.
    Wir bewegten uns fast lautlos voran, eine Reihe von Gestalten, die sich scharf vor der winterlichen Landschaft abhoben. Rhiannon rutschte einmal aus, landete aber zum Glück auf dem Hinterteil, ohne sich etwas zu verstauchen oder zu brechen, und Kaylin bewegte sich fast so mühelos und leicht, wie Chatter und Grieve es taten.
    Ulean wehte um mich herum, während wir den Abstieg bewältigten, und anfangs lenkte sie mich mit ihren unaufhörlichen Windstößen ab, aber bald fand ich es tröstend, und die flatternde Brise schien zu dem surrealen Marsch, auf dem wir uns befanden, zu passen.
    Wir rutschten und schlidderten an Tannen vorbei, deren Zweige so schwer von Schnee waren, dass sie sich bis zum Boden senkten. Zu hören war nur das Schnaufen unseres Atems und das Rutschen der Stiefel auf dem steilen Hang.
    Wir waren beinahe unten angelangt, als mein Fuß nachgab und ich knietief in eine Schneewehe rutschte. Hier war der Schnee weniger kompakt, und als

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