Winternacht
Rhiannon war schneller. Sie hatte sich von Chatter losgerissen und rannte mit erhobenem Pflock auf Heather zu. Ihre andere Hand stand in Flammen, die ihr jedoch nichts anzuhaben schienen. Heather hatte sich gerade wieder aufgerichtet, als Rhiannon den Arm nach vorn stieß und ein singender Feuerball von ihrer Handfläche aus direkt in Heathers Gesicht flog.
Heather kreischte grässlich, als ihre Haare Feuer fingen und ihre roten Locken lichterloh brannten. Wieder warf sie sich zu Boden, um sich im Schnee zu rollen, aber dieses Mal sprang Rhiannon auf ihre Mutter, erwischte sie auf dem Rücken und setzte sich rittlings auf sie. Mit beiden Händen riss sie den Pflock hoch, und ihr Blick war wild, glasig, verzweifelt.
»Du willst deine eigene Mutter töten?« Heathers Stimme klang sanft, fast so wie früher, bevor sie verwandelt wurde. Doch ihr Gesicht war nicht viel mehr als eine verkohlte Fratze, und ihre Hand schoss hoch, packte Rhiannons Kehle und drückte zu.
Rhiannon keuchte und wehrte sich gegen Heathers Griff. »Du bist nicht mehr meine Mutter«, krächzte sie. »Du bist nicht meine Mutter.« Noch immer rannen Tränen über ihre Wangen, und als sie auf Heathers Gesicht tropften, verdampften sie zischend.
Und dann, plötzlich, hörte Heather auf zu kämpfen. Sie ließ von Rhiannon ab, streckte die Arme links und rechts von ihrem Körper weg und schien zu warten. Rhiannon zögerte und blickte auf sie herab.
»Du hast Sekunden, mehr nicht, meine Liebe«, flüsterte Heather. »Bitte tu es. Erlöse mich. Ich kann immer nur wenige Sekunden bei Verstand bleiben. Ich liebe dich. Zwing mich nicht, dir etwas anzutun, und lass uns nicht auf Leben und Tod kämpfen, denn du wirst sterben. Ich bin zu stark. Ich kann die Erde dazu bringen, uns zu verschlucken. Rhiannon, mein Kind, lass mich gehen.« Die Stimme war zärtlich, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte.
»Mutter, ich kann dich doch retten. Ich kann …« Doch plötzlich brach Rhiannon ab. »Ich kann dich nicht retten. Es gibt kein Zurück, nicht wahr?«
Nun begann Heather zu weinen, und blutige Tränen liefen über das verbrannte Fleisch. »Anders als Grieve, bin ich gestorben. Ich kann nicht mehr leben. Und ich will nicht in diesem Zustand existieren, will kein Ungeheuer sein, das von einem Ungeheuer beherrscht wird. Seit sie mich verwandelt hat, habe ich grauenvolle Dinge getan. Sie lasten unerträglich auf meinem Gewissen. Entweder ich werde zu dem Grauen, das sie aus mir machen will, oder ich sterbe endgültig. Bitte schenke mir die Barmherzigkeit des Todes, Rhia. Bitte lass mich nicht so zurück.«
Rhiannon begann zu schluchzen, und das tat ich auch. Aber wir hatten keine Wahl. Es würde höchstens noch Sekunden dauern, bevor Heather wieder in den Wahnsinn zurücksank, den Myst ihr eingegeben hatte. Ich ging neben den beiden in die Knie und küsste Heather auf die Stirn.
»Es tut mir so leid, dass ich nicht mehr rechtzeitig hier war, um dich zu retten. Es tut mir so entsetzlich leid, dass ich zu spät gekommen bin.«
Heathers schwarze Sternenaugen glommen auf, und ich spürte, dass das Böse zurückkehrte. »Jetzt«, sagte ich zu Rhia. »Mach schnell.«
»Hilf mir. Ich muss es tun, aber hilf mir bitte, Cicely. Ich brauche dich.« Rhia sah mich panisch an, und ich legte meine Hände auf ihre, die den Pflock über Heathers Brust umklammerten.
Und da lächelte Heather in einem letzten Moment der Klarheit. »Ich habe dich wie meine eigene Tochter geliebt, Cicely, vergiss das nicht. Und, Rhiannon, zu gegebener Zeit wirst du erfahren, wer dein Vater ist. Vertrau mir. Du wirst es wissen.« Sie schloss die Augen, und ein Knurren kam von ihren Lippen. »Bevor ich mich zurückziehe … Jetzt! Tut es jetzt! «
Ich hielt Rhias Hände. Sie umklammerte den Stock mit unheimlicher Kraft, schien aber erstarrt. Ich drückte von oben und trieb den Pflock auf Heathers Herz zu. Einen stummen Schrei auf den Lippen, ließ Rhia den Kopf zurückfallen, entriss mir den Pflock und rammte ihn selbst in Heathers Brust. Eine Fontäne aus Blut spritzte auf, besudelte uns beide und sprenkelte den weißen Schnee mit roten Tupfen.
Heather stieß einen tiefen, klagenden Schrei aus, der im Windschatten widerhallte, dann strömte der Wind an uns vorbei, und Ulean war da und hüllte uns ein. Meine Tante lag still und reglos unter uns, ein Symbol für all das, zu was wir getrieben worden waren.
Rhia blickte sie an, erstarrt in ihrem Entsetzen. Und dann eilten Chatter und
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