Winternacht
kleinen Wellen rollten. Ein Teil von mir wusste, dass es Wahnsinn war, weil die Magie, die dahintersteckte, es nicht gut mit mir meinte, aber den Teil meines Gehirns, der meine Glieder steuerte, kümmerte das nicht. Ich würde marschieren, bis die singenden Stimmen mir anzuhalten befahlen.
Als ich die anderen zur Seite schieben wollte, hielt Grieve mich an der Schulter zurück, aber ich versuchte, ihn abzuschütteln. Er hielt fest. »Cicely – ich kann sie auch hören. Du musst sie ignorieren. Es sind Sirenen, die dich ins Wasser locken wollen und sich dann über dich hermachen.«
Ich hörte ihn, sah die Sorgen in seinen Augen, aber nichts schien den Dunst durchdringen zu können, der mich umgab. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich muss gehen … ich muss zu ihnen …«
Kaylin trat an meine andere Seite, sah Grieve scharf an, riss mich aus seinen Armen und schüttelte mich kräftig. Dann stieß er mir seine Gedanken in mein Bewusstsein. In ihrem Kielwasser verschaffte sich sein Dämon Zugang zu meinem Verstand, und plötzlich flammte ein dunkles Feuer auf und vertrieb den Nebel in meinem Inneren.
Ich schrie auf, als ein Schmerz in meinem Kopf, grell und lähmend wie die Mutter aller Migränen, mich in die Knie zwang. Ich fasste mir an die Schläfen und schrie gegen die furchtbare Qual an. Die Welt war nur noch ein verwaschener Schemen aus Licht und Schatten, und als ich glaubte, es nicht mehr ertragen zu können, begann er sich aufzulösen. Ich blinzelte. Noch war alles verschwommen, aber ich spürte, dass die Klarheit zurückkam.
Nach einem weiteren Moment war der brüllende Schmerz zu einem dumpfen Pochen abgeebbt. Ich stöhnte auf und ließ mich rückwärts auf mein Hinterteil plumpsen.
»Was zum Teufel hast du mit mir angestellt, Kaylin?«
»Dir buchstäblich eine Gehirnwäsche verpasst. Ich habe dir meine Gedanken aufgezwungen, um den Bann der Sirenen zu brechen. Reden hätte nichts genützt.« Er lächelte mich entschuldigend an. »Du bist extrem anfällig für Angriffe auf psychischer Ebene. Sobald Zeit dazu ist, musst du lernen, deinen Verstand abzuschirmen.« Er bot mir seine Hand, und mit einem unsicheren Blick zu Grieve nahm ich sie und ließ mich hochziehen.
»Ich fühle mich, als hätte ich den Kater meines Lebens. Oder als ob man mich mit einem Vorschlaghammer bearbeitet hätte. O ja – Gehirnwäsche. Mit Schleudergang.« Aber es hatte funktioniert. Hätte er es nicht getan, hätte ich mit meinen Freunden gekämpft, um zum Wasser zurückzukehren. »Aber wieso haben diese … diese Wesen uns nicht angegriffen, als wir den Teich überquert haben?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass sie wie Mysts Eiselementare erst dann in Aktion treten sollen, wenn jemand einen Fuß auf die Insel setzt.« Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen höllisch vorsichtig sein. Lainule hat sich offenbar auf mehreren Ebenen geschützt.«
»Ich bin so dämlich. Wieso habe ich nicht daran gedacht?« Wieder fühlte ich mich wie eine engstirnige Idiotin.
»Seit Tagen kämpfen wir mit Myst auf einer sehr körperlichen Ebene; in den meisten Fällen haben ihre Schergen uns ganz schlicht niederzumetzeln versucht. Wir sind alle müde. Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass die Schattenjäger es allein nicht bringen, und Magie gegen uns einsetzt.« Kaylins Miene war grimmig, und erst jetzt wurde mir klar, dass ich diesen Gedanken mit Absicht vermieden hatte. Ihre Krieger wehrten wir nur mit Ach und Krach ab, in Verbindung mit Magie würden wir wohl kaum noch eine Chance haben.
»Kommt, weiter. Je länger wir hier herumstehen, umso eher werden wir Zielscheiben weiterer Angriffe. Aber seid hellwach, und wenn jemand das Gefühl hat abzudriften, dann sagt was.« Ich schüttelte den Rest von Kaylins Schatten ab und gesellte mich zu Grieve an die Spitze.
Ulean, konntest du den Bann der Sirenen nicht durchbrechen?
Du hast mich nicht gehört. Mir scheint, dass die Magie dieser Wesen unsere Verbindung blockieren kann. Ich habe dich zurückgerufen, aber du warst nicht mehr in meiner Reichweite.
Bleib unbedingt in engem Kontakt. Das darf nicht noch einmal passieren.
Du sagst es. Ich passe auf dich auf, wie man nur aufpassen kann. Und du hör genau hin. Sobald du meinst, du spürst noch etwas anderes, teil es mit … manch Flüstern hörst du besser als ich. Und manchmal ist es umgekehrt.
Und so tauchten wir in den stillen Wald ein. Der Ruf der Sirenen war verstummt, aber beruhigt war ich
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